Für Virtual Reality ist die Photogrammetrie ein extrem wichtiges Tool, denn durch entsprechende Softwares lassen sich mit dieser Technologie virtuelle Objekte aus realen Gegenständen modellieren und schließlich in VR-/AR-Apps einbinden. Für den VR-Anwender werden auf diese Weise auch ansonsten nur schwer begehbare Orte mit einem hohen Detailgrad zugänglich!
Am Anfang ist ein Bild
Für das photogrammetrische Verfahren werden zunächst von einem Objekt Bilder aus allen Winkeln aufgenommen. Jede von außen sichtbare Stelle muss dafür auf mindestens zwei Fotos gut zu sehen sein. Die Fotografien können bei kleinen Objekten entweder auf einem Drehteller oder in einer Umgebung, die eine möglichst gleichmäßige Beleuchtung gewährleistet, angefertigt werden. Neben einer gleichmäßigen Ausleuchtung der Umgebung ist es auch wichtig, Spiegelungen und direkte Sonneneinstrahlung (aufgrund des Schattenwurfs) zu vermeiden. Große Objekte (wie beispielsweise Gebäude) können am besten per Drohne abfotografiert werden. Wichtig ist jedoch, dass die Bilder so scharf wie möglich sind. Die Blende sollte daher möglichst geschlossen werden und die Kamera sollte sich möglichst nicht bewegen. Räume können selbstverständlich auch mit Fotos von innen digitalisiert werden.
Grundsätzlich werden bei der digitalen Photogrammetrie eine Reihe von Fotos zur Erfassung von Oberflächenstrukturen genutzt, aus denen Softwares die räumliche Position errechnen. Dabei werden Charakteristika wie etwa Hell-Dunkel-Kontraste, scharfe Kanten und Exif-Daten (beispielsweise die Brennweite) berücksichtigt.
Manche Photogrammetrie-Programme können neben der Erstellung von Punktwolken & 3D-Meshes auch mit erweiterten Daten wie GPS-Koordinaten arbeiten.
Aus den kamerabasierten Daten werden zunächst Punktwolken und anschließend auf deren Basis 3D-Polygonnetze von hoher Genauigkeit erstellt. Das Polygon-Mesh lässt fundierte Rückschlüsse auf die gesamte Objektgeometrie zu. Diese 3D-Modelle können in eine 3D-Grafiksoftware oder direkt in eine Game-Engine (dem Herzstück einer VR-Applikation) eingebunden werden. Da die Rohtexturen der 3D-Assets über eine hohe Anzahl Polygone verfügen, können hier zusätzliche Tools zur Verbesserung nachfolgender Workflows genutzt werden.
Die Polygonnetze lassen sich unter Flächenrückführung auch in CAD-Modelle umwandeln, die in der Fertigung eine große Rolle spielen. Bei der Weiterentwicklung von Bauteilen können über CAD-Objekte mit exakten Konstruktionsdaten z.B. Entwicklungsschritte visualisiert und für spätere Produktionen entsprechend dokumentiert werden. Auch der Denkmalschutz profitiert von der Objekt-Digitalisierung durch Photogrammetrie-Softwares – etwa bei der Dokumentierung von Kulturgütern.
Vorteilhaft sind solche virtuellen 3D-Modelle vor allen Dingen auch, weil sie detailliert materielle Veränderungen originaler Werke festhalten und in der Wissenschaft flexible und geografisch unabhängige Auswertungen ermöglichen (ohne das Original zu gefährden).
Aus Punkten Netze weben
Jeder erfasste Punkt definiert einen Lichtstrahl im 3D-Raum, der an der Kamera beginnt und sich bis zum realen Objekt erstreckt. Zusätzliche Informationen für die geometrische Erfassung ergeben sich z.B. aus Winkel, Ausrichtung, Objektverzerrung oder Pixelgröße. Um die 3D-Koordinaten eines Punktes zu erfassen, wird bei der sog. Triangulation (Dreiecksvermaschung) der gleiche Punkt aus mindestens zwei verschiedenen Positionen anvisiert und sich überschneidende Bereiche entsprechend abgeglichen. Hierdurch entstehen die Polygonnetze.
Beim „Point-and-Shoot-System“ (z.B. zur 3D-Dokumentation archäologischer Funde) wird eine einzelne Kamera unter Verschiebung nur eines Punktes verwendet. Hierbei wird sich in jedem erdenklichen Winkel um das Objekt herum bewegt – entsteht eine Lücke in der Erfassung, ist das gescannte Modell später inkonsistent und nicht verwertbar. Es kann dann zwar über Softwares nachbearbeitet werden, weist aber zunächst im blinden Fleck ein „Loch“ auf. Je mehr Objektpunkte erfasst werden, desto höher die Genauigkeit der Rekonstruktion. Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass die benötigte Rechenleistung mit jedem zusätzlichen Bild exponentiell ansteigt.
Zur schnellen Erfassung eines Objekts oder für dynamische (Bewegt-)Szenen, werden schließlich ganze Kamera-Rigs bzw. eine Vielzahl an Kameras verwendet. Oberstes Gebot ist große Stabilität von Kamera und Objektiv.
Ganze Orte rekonstruieren
Ein Beispiel gefällig, was mit Photogrammetrie machbar ist? Das Unternehmen Varjo hat mittels Photogrammetrie einen historischen Friedhof in Japan erfasst. Das Headset der Firma besticht mit eine Auflösung, die – im Zentrum des Displays – der menschlichen Sehkraft eines gesund sehenden Menschen entspricht. Mithilfe dieser Technik können VR-Anwender sogar besonders feine Details erkunden – und genau solche Details können durch Photogrammetrie vergleichsweise einfach reproduziert werden.
Für Versailles VR: The Palace is Yours wurden sogar ganze 36.000 Quadratmeter abgebildet. Dabei scannte man nicht nur zwei Dutzend Räume, sondern auch hunderte darin befindliche Gegenstände (wie Skulpturen und Gemälde).
VR-Nutzer können sich auf eine Reise durch die ehemaligen Gemächer von König Ludwig XIV. begeben und jeden Winkel im eigenen Tempo erkunden. Zusätzlich erhalten sie über das Betätigen der Controller Informationen zu den Ausstellungsstücken und Räumlichkeiten.
„Die Türen von Versailles für die Welt zu öffnen, bedeutet heute auch, sie virtuell zu öffnen.“
Catherine Pégard, Präsidentin Schloss Versailles
Durch Photogrammetrie-Daten bzw. ihre anschließende Visualisierung und Modellierung lassen sich also sogar ganze Virtual-Reality-Touren erzeugen, in denen der VR-Headset-User auf individuelle Erkundung gehen kann!
Reale Objekte lassen sich nicht nur statisch digitalisieren. Durch volumetrische Aufnahmeverfahren können sogar Schauspieler samt Gestik und Mimik in die virtuelle Welt übertragen werden. Wie das funktioniert, das erfahren Sie in zwei Wochen – im nächsten Artikel unserer Themenreihe.
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