Kommunikationsform Film

27. Februar 2013
27. Februar 2013 Sascha Reitermann

Kommunikationsform Film

Kommunikationsform Film

Hefte weg, Blatt raus, Vokabeltest!

Diese altbekannte oder zumindest dieser ähnliche Aufforderungen dürfte vielen noch aus der Schulzeit bekannt sein. Der Schrecken, der manchem bei diesem Gedanken in die Glieder fährt, veranschaulicht, mit welchen Mühen und mit welchem Aufwand es in der Regel verbunden ist, sich eine Sprache anzueignen.

Filmbilder sind grammatisch

Film ist in vielerlei Hinsicht einer Sprache oder einem Sprachsystem gar nicht so unähnlich. Auch beim Aufbau eines Films gibt es gewisse „Vokabeln“, „Grammatikregeln“, und Strukturen, die beachtet werden müssen, damit ein Film „lesbar“ ist und mit denen kommuniziert werden kann. Zu den Elementen dieser Sprache gehören etwa:

  • Einstellungsgrößen
  • Perspektiven
  • Kamerabewegungen
  • Beleuchtung
  • Mise en scène (Inszenierung)
  • Wort – Bild -Ton Beziehungen
  • Bedeutung filmischer Aussagen (Denotation und Konnotation, gemeint ist hier, ob Dinge unmittelbar oder zusätzlich mit einer symbolischen Aufladung gezeigt werden)
  • Montage

Beispiel für die Verwendung der Kameraperspektive zur Kommunikation einer bestimmten Aussage: Der sogenannte „God’s Eye View“ evoziert eine auktoriale Erzählsituation und lässt den Zuschauer die Szenerie mit einer souveränen, geradezu allwissenden Erhabenheit überblicken

Ebenso ließe sich bei der Filmproduktion zwischen verschiedenen Ebenen von Bedeutungseinheiten unterscheiden: Während man bei der Sprache Wörter, Sätze und Abschnitte hat, bietet der Film Einstellungen, Szenen oder Sequenzen. Auch wenn man dieses Schema sicherlich nicht 1:1 übertragen kann, lassen sich durchaus zahlreiche Analogien erkennen.

Aber anders als bei tatsächlichen Sprachsystemen im linguistischen Sinne wie Englisch oder Französisch scheint das Erlernen des Vokabulars zum Sehen eines Films – zumindest auf der untersten, unreflektierten Wahrnehmungsstufe – gar nicht notwendig zu sein. Wir wissen offensichtlich mehr oder weniger unweigerlich, wie man diesen Mix aus zusammengesetzten Bildern und Tönen decodiert. Sogar Kinder begreifen die Bilder auf dem Fernsehschirm im frühsten Alter, auch schon bevor sie überhaupt in der Lage sind, gesprochene Sprache zu verstehen. Ein spezielles intellektuelles Verständnis ist hierfür offenbar nicht erforderlich.

 

Warum verstehen wir Filme so einfach?

Hierzu ein wenig graue Theorie: Für die Semiotik, also die Lehre von Zeichensystemen, ist jedes Kommunikationssystem eine Sprache. Die entsprechenden Zeichen bestehen dabei aus zwei Teilen: dem Signifikant und dem Signifikat.

Das Signifikat ist etwas, das bezeichnet wird, der Signifikant dagegen das, womit es bezeichnet wird. Ein (physisch existenter) Stuhl wäre beispielsweise ein Signifikat, das Wort „Stuhl“ (die Anhäufung von Buchstaben beziehungsweise Lauten) hingegen der Signifikant. Bei Sprachen ist es in der Regel so, dass zwischen diesen zwei Teilen ein gewisses Missverhältnis besteht und zwar insofern, dass der Signifikant das Signifikat stark abstrahiert. Das Wort „Stuhl“, so selbstverständlich es für uns heutzutage auch sein mag, hat in erster Linie verhältnismäßig wenig mit dem tatsächlichen Stuhl zu tun.

Filme verstehen wir deshalb so gut, weil hier die beiden genannten Aspekte eines Zeichens nahezu deckungsgleich sind: Ein Stuhl, den man auf der Leinwand sieht, ist unmissverständlich viel näher am wirklichen Stuhl dran als das Wort, das ihn beschreibt. Die Gegenstand-Bild-Beziehung ist sehr viel einfacher zu begreifen als die Gegenstand-Wort-Beziehung.

Hinzu kommt, dass der Film im Laufe der Zeit eine Vielzahl an Konventionen hinsichtlich Bildaufbau, Kamerabewegungen oder Montage entwickelt hat, die sich an der physiologischen Wahrnehmung des menschlichen Sehens orientiert und so das Verstehen weiter erleichtern.

Als Beispiel hierzu könnte man den einfachen Schnitt nehmen: Auch wenn man meinen könnte, ein Schwenk der Kamera kommt der natürlichen Bewegung des Kopfes beim „Sprung“ von einem Gegenstand zu einem anderen am nächsten, ist der Schnitt der physiologischen Wahrnehmung viel verwandter. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich primär auf die zwei Gegenstände – das, was dazwischen geschieht (also der „Schwenk“ unseres Blicks) blendet das Gehirn meist aus.

Schnitte innerhalb einer Einstellung werden dementsprechend nur unmerklich wahrgenommen. Springen sie einem doch ins Auge, ist dies normalerweise ein gewolltes Stilmittel – in manchen Fällen aber auch einfach schlechtes Handwerk der  Filmemacher.

Weiterhin hat sich seit der Entstehung des Films ein weitreichendes System von Codes etabliert wird, wie der Zuschauer mit Hilfe solcher Zeichen zu spezifischen Bedeutungen gelangt. Für die oben genannten Elemente gibt es jeweils einen solchen Code, welcher dann beispielsweise festlegt, mit welcher Beleuchtung oder mit welcher Art und Weise der Montage innerhalb mehrerer Möglichkeiten eine bestimmte Wirkung erzielt werden kann.

Durch die Verknüpfung dieser Vielzahl an Möglichkeiten und deren Zusammenspiel innerhalb des Gesamtgefüges filmischer Codes und Zeichen entsteht dann das Endprodukt: der „lesbare“, mehrfach codierte Film!

Filme lediglich zu „sehen“ ist zwar nicht sonderlich schwer. Um sie wahrhaftig zu verstehen, erfordert es offensichtlich meist noch etwas mehr. Menschen, die filmisch geschult sind und im Hinblick auf diese Art der Medienanalyse eine besondere Kompetenz aufweisen (Cineasten oder diejenigen, welche generell häufig Filme konsumieren), „mehr“ sehen als andere.

Ferner spielt die individuelle physio- und psychologische sowie soziale und kulturelle Vorbildung eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Jemand aus einem technologiefremden Kulturkreis ohne Vorstellung unserer westlichen Bilderwelt wird mit schnell geschnittenen Musikvideos oder Timelapse-Aufnahmen unter Umständen wenig anfangen können.

 

Filmproduktionen müssen sprechen können

Wechseln wir von der Konsumenten- auf die Produzentenseite. Im Gegensatz zum Schauenden muss der Filmschaffende das filmische Vokabular perfekt beherrschen. Im Grunde genommen muss er dabei paradoxerweise sein diesbezügliches Know-How in gewisser Weise vertuschen, denn der Betrachter soll den Film leicht verstehen – aber im Endeffekt bestenfalls gar nicht wissen, warum das so ist. Schon der kleinste Fehler kann diese Illusion zunichte machen.

Auch ist er derjenige, der die imaginative Kraft des Zuschauers lenkt. 10 Personen haben in ihrer Vorstellung 10 verschiedene Bilder von einem Baum im Kopf. Ein Film gibt aber relativ klar vor, wie der Baum auszusehen hat. Beherrscht er seine Sprache, kann er weitergehen und Grammatik und Syntax variieren, mit Signifikaten und Signifikanten spielen, eine wirkungsvolle Symbolik aufbauen etc. Somit verleiht er seiner Sprache einen ansprechenden Ausdruck, der dann auch absichtlich von der Norm abweichen kann und beim Betrachter eine gewollte Verwirrung hervorruft. Viele berühmte Beispiele dieser Umkehrung des filmsprachlichen Wirkprinzips stammen aus der Zeit des surrealistischen Films, wobei unbedingt „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí aus dem Jahre 1929 zu nennen wäre.

Nicht umsonst ist der Film eine Kunstform, und auch der Bruch mit den audiovisuellen Normen braucht eine genaue Kenntnis darüber, worin genau diese Regelüberschreitung liegt, warum man sie anwendet und welche Wirkung sie entfaltet. Ansonsten bleibt eine effiziente Kommunikation Glückssache.

Ein Beispiel für die geplante Verwirrung des Zuschauers durch absichtlich „fehlerhafte“ Bildsprache: „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí

Das Meistern dieses künstlerischen Handwerks ist dabei folglich nicht nur bei Langspielfilmen von großer Bedeutung. Insbesondere im Hinblick auf von der Länge her weniger umfassend ausgelegten filmischen Formen wie

  • Musikvideos
  • Kurzfilme
  • Werbefilme
  • Unternehmensfilme
  • Imagefilme

 

ist es eminent wichtig, im Feld der filmsprachlichen Mittel ein überaus hohes Maß an Fachkenntnis zu besitzen, um das, was man kommunizieren will, in der Kürze der Zeit in optimaler Form zu transportieren. Beim künstlerischen Spiel- oder Kurzfilm ist es des Öfteren der Fall, dass eine Message (manchmal auch gewollt) auf den ersten Blick gar nicht sichtbar ist oder vielleicht auch gar keine wirkliche Botschaft intendiert ist l’art pour l’art sozusagen.

Auf dem Gebiet der Werbung ist dies selbstverständlich anders. Auch wenn die Botschaft bisweilen sehr subtil gesendet wird, im Endeffekt kommt es darauf an, einen gewissen Mehrwert zu kommunizieren – und dies in einer Form, die den Betrachter auch erreicht. Fast noch mehr als bei anderen filmischen Teilbereichen gilt hier also: Nichts ist zufällig, jede Aufnahme, jedes Bild- und Tondetail ist ein willentlich gewähltes Gestaltungsmittel, das seine letztendliche Bedeutung jedoch erst in der Rezeption durch den Betrachter erhält.

Eine filmsprachliche Kommunikation wäre dementsprechd dann erfolgreich, wenn Sinngehalt und Identifikationsrollen vom Betrachter auch so angenommen werden, wie sie von der Produktionsseite aus konzipiert wurden.

 

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