Wie plant man eine nicht-lineare Geschichte? Interaktive Narrationen für VR und 360° entwickeln

4. Dezember 2020 Marius Mülhaupt

Wie plant man eine nicht-lineare Geschichte? Interaktive Narrationen für VR und 360° entwickeln

Als Agentur haben wir in den letzten Jahren viel Erfahrung mit der Gestaltung, Planung und Produktion von interaktiven Geschichten gesammelt. Um Ihnen den Weg zur eigenen interaktiven Anwendung zu ebnen, wollen wir heute unsere Erfahrungen mit Ihnen teilen.

Als Vorreiter in der Produktion von 360°-Filmen zeigte uns die Praxis nachdrücklich, dass dieses neue Medium viele Chancen bietet, sehr immersive Welten zu gestalten, doch diese Immersion durch die dem Medium immanente Linearität eingeschränkt wird. Unsere Lösung für dieses Problem ist eine Rückbesinnung auf das Genre der interaktiven Filme – also Filme, bei denen Zuschauer an verschiedenen festgelegten Zeitpunkten die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Pfaden zu wählen. Anders als bei prominenten Vertretern von Interactive Movies (wie beispielsweise Bandersnatch) setzen wir nicht nur weiterhin auf 360°-Inhalte, sondern gestalten Anwendungen, die selbstständig anhand des Verhaltens von Nutzern auf Entscheidungspfaden navigieren. Es gibt also keine Unterbrechungen im Film. Stattdessen ermittelt die Anwendung selbstständig die Intention des Nutzers anhand von verschiedenen möglichen Triggern wie Blickrichtung, Sprache, Lautstärke, die Aufmerksamkeit (also die Zeit, in der Nutzer innerhalb eines Zeitraums einen Bereich in der 360°-Umgebung betrachten) oder auch nicht direkt veränderbare Variablen wie die Uhrzeit, der Standort des Nutzers, der Akkustand des Wiedergabegeräts oder das Wetter. Entscheidungspfade können, wie aus anderen interaktiven Filmen bekannt, an festen Zeitpunkten in der Geschichte abzweigen. Sie können aber auch so gesetzt werden, dass sie jederzeit oder in einem bestimmten Zeitraum ausgelöst werden können, sobald festgelegte Bedingungen erfüllt sind.

Hyperresponsive Virtual Reality - Der nächste Schritt des 360°-Storytellings

Hyperresponsive Virtual Reality (HRVR)

Die Technologie, die wir entwickelt haben, um derartige Anwendungen möglich zu machen, nennen wir Hyperresponsive VR oder kurz HRVR. Wir haben die Features in eine eigene Plattform integriert, die uns erlaubt, schnell Versionen zu iterieren und komplett neue Anwendungen anzulegen.

Langfristig ist geplant, die Gestaltung von HRVR-Anwendungen so einfach zu gestalten, dass wir unsere HRVR-Creator-Tools auch anderen Agenturen und Filmemachern bereitstellen können (so wie wir es mit unseren Features für die Erstellung von 360°-Touren und -Präsentationen mit gleichzeitiger Ansteuerung mehrerer Geräte per WLAN auch derzeit tun). Schon jetzt (Stand: Ende 2020) können Sie natürlich zusammen mit uns und unseren Programmierern hyperresponsive Anwendungen produzieren – ganz egal, ob Sie selbst Content-Creator oder auf der Suche nach einer Full-Service-Produktion inklusive Konzeption, Planung, Filmdreh und Post-Produktion sind. Wir sind – soweit uns bekannt – die erste Agentur, die interaktive 360°-Filme auf diese Weise produziert. Mit einer HRVR-Anwendung können Sie also nahezu garantiert für Aufmerksamkeit sorgen.

Eine Auswahl möglicher Trigger in HRVR-Anwendungen: Motion, Sound, Voice, Gaze, Time, Location, Weather, Data, Contextual

Im Folgenden wollen wir Ihnen einen kurzen Überblick geben, wie wir uns der Mammutaufgabe, eine interaktive Geschichte zu entwickeln, im Regelfall nähern.

Einen Entscheidungsbaum erstellen

Eine interaktive Geschichte basiert auf einem Entscheidungsbaum, auf dem jede mögliche Abzweigung innerhalb der Handlung zu sehen ist. Der Entscheidungsbaum ist das wichtigste Werkzeug, um den Überblick über sämtliche mögliche Zustände zu erhalten – und um auf einen Blick zu erfassen, wo unterschiedliche Entscheidungen zu ähnlichen oder sogar gleichen Ausgängen führen sollten. Ein Entscheidungsbaum kann von oben nach unten oder von rechts nach links angelegt werden. Am Beginn des Entscheidungsbaumes ist oft nur ein Kasten zu sehen – die Repräsentation für den Clip, der immer am Anfang zu sehen ist. Von hier spalten sich mit jeder Entscheidung mehr Clips ab. Jede Entscheidung solle dabei so markiert werden, dass ersichtlich wird, an welchen Faktoren sich entscheiden soll, welchen Verlauf die Geschichte einschlagen wird. Jeder Kasten repräsentiert einen Filmclip und sollte mit einer eindeutigen Bezeichnung versehen werden. Es empfiehlt sich, jede vorhergehende Entscheidung in den Namen einfließen zu lassen. Am simpelsten und effektivsten geht das mit Zahlen, die durch Punkte getrennt werden:

Der erste Clip kann so beispielsweise mit „1“ betitelt werden. Wenn wir annehmen, dass von diesem Clip drei Verzweigungen abgehen, würden diese mit „1.1“, „1.2“ und „1.3“ betitelt werden. Spalten sich von Clip 1.2 zwei weitere Entscheidungen ab, würden diese die Namen „1.2.1“ und 1.2.2“ tragen. Dieses Schema lässt sich fortsetzen.

Ein einfaches Beispiel für einen Entscheidungsbaum.

Die vielen Möglichkeiten können auf den ersten Blick sehr überwältigend wirken. Es empfiehlt sich daher, sich mit einigen grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen, bevor der Plot des interaktiven Films entwickelt wird. Diese wollen wir im Folgenden näher beleuchten.

Welche Geschichte möchte ich erzählen?

Welche Geschichte möchten Sie erzählen? © Foto: Nong Vang (Unsplash)

Im Kern ist ein interaktiver Film mit HRVR-Elementen immer noch ein Film. Das mag trivial klingen, doch um zu verhindern, dass die Entscheidungsfreiheit zum Gimmik wird und das Storytelling unter den neuen Möglichkeiten leidet, ist es umso wichtiger, sich klar zu machen, welche Aussage die Geschichte treffen soll. Machen Sie sich bewusst, dass den allermeisten Filmen eine sehr bewusste Art des Geschichtenerzählens innewohnt, die die Erfahrung des Zuschauers sehr genau lenkt. Diese Eigenschaft von Filmen sollten Sie nicht im interaktiven Film aufgeben. Auch wenn Sie planen, eine große Zahl an Pfaden anzulegen, werden Ihre Zuschauer schließlich zunächst nur einen dieser Pfade erleben. Daher sollten Sie sich darüber im klaren werden, welche Elemente in jedem möglichen Pfad enthalten sein sollten und wie die Spannungskurve und Dramaturgie in jedem Fall verlaufen sollte. Selbstverständlich können Sie auch mehrere Varianten von Aussagen und Spannungskurven anfertigen – wichtig ist nur, dass dem Zuschauer in jedem Fall eine strukturierte und erfüllende Erfahrung dargeboten wird.

Welche Aussagen Sie treffen wollen und wie Sie die Dramaturgie Ihrer interaktiven Erfahrung aufbauen, hängt selbstverständlich auch stark an der Zielgruppe, die Sie erreichen wollen. Sie sollten sich daher auch bewusst machen, wen Sie mit Ihrer interaktiven Erfahrung ansprechen wollen.

Welche Entscheidungsmöglichkeiten möchte ich Nutzern geben und welche Zielplattformen möchte ich bespielen?

VR-Headsets wie auch Smartphones haben eine ganze Palette an Sensoriken und Eingabemöglichkeiten, auf die Sie für die Analyse der Nutzerintention und der damit verbundenen Bestimmung von den für den Nutzer passenden Entscheidungspfade zurückgreifen können. Welche dieser Daten Sie auswerten sollten, hängt zum einen an Ihrer Zielplattform: Auf Smartphones mit Gyroskop-Steuerung oder Touch-Steuerung schauen sich Nutzer tendenziell weniger im 360°-Raum um als bei der Verwendung von VR-Headsets. Ebenso wird die Blickrichtung seltener unbewusst verändert. Durch die geringere Immersion ist es auch von größerer Bedeutung, den Nutzer auf mögliche Lautstärke- oder Spracheingaben hinzuweisen – durch das stärkere Präsenzgefühl ist dies unter einem VR-Headsets intuitiver. Man kann in Anwendungen für VR-Headsets also eher Hinweise auf diese Triggern reduzieren.

Zum anderen sollten Sie aber auch bedenken, wie viele unterschiedliche Pfade Sie anlegen möchten: Einige Zustände sind für den Nutzer nur schwer veränderbar – beispielsweise der Akkustand oder der Standort. Wenn Sie mit einer überschaubaren Anzahl an Pfaden planen, wird die Interaktivität also weniger zum Vorschein treten, wenn Sie vermehrt auf derartige Variablen setzen. Generell sind außerdem Trigger, die durch das Mikrofon ausgelöst werden, insofern mit mehr Aufwand verbunden, dass Sie Nutzer dazu motivieren müssen, laut mit der Anwendung zu interagieren. Je nachdem, an welchem Ort Ihre Nutzer die Anwendung benutzen, kann dies natürlich einiges an Überwindung kosten. Überlegen Sie sich genau, wie stark Sie Ihre Nutzer auf eine Entscheidungsmöglichkeit hinweisen möchten, wie Sie Nutzer motivieren können, mit der Anwendung zu interagieren und wie wichtig es Ihnen ist, dass alle Entscheidungspfade gleichmäßig oft angesehen werden. Dies wird die Wahl der Trigger, die Sie für Ihre Anwendung benutzen möchten, sicher ein wenig einschränken.

Für einige Auswertungen (wie beispielsweise alles, was mit dem Mikrofon zu tun hat) müssen Nutzer den Zugriff der Applikation auf die entsprechenden Sensoren freigeben. Je nachdem, wie offen Sie kommunizieren möchten, dass Entscheidungspfade durch Geräusche ausgelöst werden können (und die Applikation nicht etwa heimlich Gespräche mitschneidet und versendet), sollten Sie bedenken, dass Nutzer privater Geräte vor solchen Freigaben zurückschrecken könnten.

Um Ihren Nutzern Hemmungen zu nehmen, mit Ihrer Anwendung laut zu interagieren, müssen Sie unter Umständen deutlichere Hinweise setzen. © Foto: BRUNO EMMANUELLE (Unsplash)

Machen Sie sich noch nicht zu viele Gedanken über die genauen Grenzwerte, an denen Ihre Trigger auslösen sollen – diese sollten Sie erst nach Produktion in einer ausgiebigen Testing-Phase justieren.

Der „heilige Gral“ der HRVR-Interaktionen ist sicher die Spracherkennung. Mit dieser haben Nutzer deutlich mehr Möglichkeiten, mit der virtuellen Umgebung in Austausch zu treten, als das mit den meisten anderen Features der Fall wäre. Doch ob Sie von Sprachsteuerung Gebrauch machen wollen, sollten Sie gut überlegen. Um Frustration vorzubeugen, müssen Sie möglichst viele Keywords erfassen und passendes Filmmaterial produzieren. Dies kann zum einen durch eine größere Zahl an Filmclips, zum anderen aber auch durch ein bewusstes Wording von Fragen, die Charaktere den Nutzer stellen, erzielt werden. Ein Großteil der möglichen Antworten auf Ja-/Nein-Fragen können beispielsweise sehr einfach mit wenigen Entscheidungspfaden abgedeckt werden. Für eine offene Frage müssen deutlich mehr Optionen antizipiert werden. Bedenken Sie auch: Wenn Sie Spracheingaben an einer Stelle im interaktiven Film erlauben, ist zu erwarten, dass Nutzer dies auch an anderen Stellen im Film ausprobieren werden. Sie sollten möglichst für alle offensichtlichen Momente, in denen Sie eine solche Interaktion erwarten, Reaktionen anbieten. Wenn Sie Ihre Anwendung in mehrere Sprachen übersetzen möchten, steigt bei Spracherkennung außerdem der Aufwand, da für jede Sprache Trigger-Wörter festgelegt werden müssen, die – sobald sie erkannt werden – den entsprechenden Entscheidungspfad auslösen. Außerdem ist moderne Spracherkennung zwar schon sehr genau, starke Dialekte können aber nach wie vor zu Problemen führen. Sie sehen schon: Spracherkennung als HRVR-Trigger ist mit Planungs- und Produktionsaufwand verbunden und nicht ohne Probleme. Ohne klar kommunizierte Regeln können Sprachinteraktionen schnell ausufern. Richtig eingesetzt erhöhen Sie die Immersion aber deutlich.

Wie sehr sollen sich Pfade unterscheiden?

Gerade bei komplexen Anwendungen mit vielen Entscheidungen wird ihr Entscheidungsbaum schnell sehr viele Äste haben. © Foto: veeterzy (Unsplash)

Eine Möglichkeit, zu produzierende Filmclips zu reduzieren und Kosten zu senken, ohne die Interaktionsmöglichkeiten einzuschränken, ist es, Entscheidungsbäume zu bauen, deren Äste teilweise wieder zusammenlaufen. So können beispielsweise zwei Pfade nach einigen Entscheidungen auch wieder am selben Punkt und damit im selben Videoclip enden.

Es ist möglich, einzelne Bildbestandteile getrennt anzusteuern (so dass beispielsweise die Geschehnisse, die durch ein Fenster beobachtet werden können, unabhängig vom Videoclip eines agierenden Charakters sind. Ein Entscheidungspfad kann entweder beide oder nur einen dieser beiden Bildbestandteile beeinflussen).

Ebenso ist es möglich, auf vergangene Entscheidungen zurückzugreifen, so dass eine spätere Abzweigung auf Basis zuvor getroffener Entscheidungen denkbar ist. Bei längeren Geschichten mit vielen Entscheidungsmomenten ist ein gewisses Recycling an Szenen fast unvermeidbar – besonders auch in Hinblick auf den benötigten Speicherplatz der Anwendung.

Wie stark möchte ich Nutzer auf Entscheidungen hinweisen und wie kommuniziere ich Ergebnisse einer Entscheidung?

Eine interaktive Anwendung zu planen und eine Vielzahl an Entscheidungspfaden zu produzieren, ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Es liegt deswegen nahe, dass Sie vermeiden wollen, dass einige Nutzer gar nicht merken, wie stark sie die Geschichte beeinflusst haben. Auf der anderen Seite ist es natürlich Teil der Magie von HRVR, dass der Nutzer sich fühlt, als könne der Film auf alles reagieren, was er tut. Umso deutlicher Entscheidungen hervorgehoben werden, desto klarer ist es für den Zuschauer ersichtlich, wo und wie er den Verlauf der Geschichte hätte ändern können. Ein Mittelweg kann sein, Entscheidungen weniger im Vorfeld anzukündigen, sondern mehr die Ergebnisse einer Entscheidung und das Zutun des Nutzers nach dessen Entscheidung hervorzuheben. Dem Anwender sollte bewusst werden, dass sein Verhalten zu dem Ausgang geführt hat, den er sieht. Im Optimalfall erweckt die Anwendung mit einer überschaubaren Anzahl an Entscheidungen den Eindruck, dass jedes Verhalten des Nutzers für den Ausgang entscheidend gewesen wäre.

Will ich / Wie kann ich Nutzer incentivieren, die Anwendung mehrmals zu durchlaufen?

HRVR-Anwendungen und interaktive Filme im Allgemeinen eignen sich gut, um zum mehrfachen Ansehen zu motivieren und so die Interaktionszeit mit der Anwendung im Vergleich zu einem linearen Film deutlich zu steigern. Wenn Sie eine Anwendung planen, die auf diesen Aspekt setzt, empfehlen wir, Features einzubauen, die den Entdeckungsdrang Ihrer Nutzer belohnen. Die einfachste Möglichkeit dazu ist ein Achievement-System: Nutzer bekommen, nachdem sie die Anwendung erstmals durchlaufen haben, angezeigt, wie viele mögliche Pfade/ Enden der Geschichte sie schon entdeckt haben. Jedes mögliche Ende kann dabei zum Beispiel auch mit einem kleinen Symbol repräsentiert werden und mit einem Hinweis, auf welchen Ausgang der Nutzer hinarbeiten muss, um dieses Ende zu sehen, versehen werden. Hat der Nutzer das Ende gesehen, kann es sich zum Beispiel bunt färben. So hat der Nutzer immer im Blick, wie viel es noch zu entdecken gibt. Es ist auch denkbar, Achievements mit kleinen Belohnungen wie Bonus-Videos zu verknüpfen und so einen noch größeren Anreiz zum Durchsuchen der Anwendung zu schaffen.

Achievement-Systeme können helfen, den Wiederspielwert zu erhöhen. © Foto: Giorgio Trovato (Unsplash)

Eine weitere Möglichkeit, Nutzer zum mehrmaligen Durchlaufen der Anwendung anzuregen, ist es, geheime Pfade und Easter Eggs zu verstecken. So könnten beispielsweise einzelne Pfade nur unter bestimmten Umständen (an bestimmten Standorten, bei einer bestimmten Witterung, bei einem niedrigen Akkustand, zu einer bestimmten Uhrzeit, …) ausgelöst werden. Die Schnitzeljagd nach Geheimnissen können Sie entweder durch Hinweise in der Applikation oder beispielsweise über Posts in sozialen Netzwerken befeuern.

Wenn Nutzer Ihre HRVR-Anwendung mehrmals ansehen, müssen Sie jedoch selbstverständlich damit rechnen, dass der Entscheidungsbaum mehr und mehr offensichtlich wird und die scheinbare „Magie“, dass die Anwendung intelligent auf den Nutzer reagiert, mehr und mehr abblättern wird. Umso öfter der Nutzer den Entscheidungsbaum durchläuft, desto mehr ändert sich die Natur seiner Erfahrung. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, Sie sollten sich aber bewusst machen, ob Sie diesen Umstand durch Achievement-Systeme und versteckte Entscheidungspfade befeuern möchten.

Wie stark möchte ich graphische Interface-Elemente verwenden?

Ein graphisches Userinterface, kurz GUI, ermöglicht Nutzern in vielen Anwendungen eine leichte und intuitive Interaktion. Eine gute graphische Bedienoberfläche kann schnell und einfach bedient werden, ist klar lesbar und eignet sich hervorragend, um abstrakte Sachverhalte darzustellen. Doch GUI-Elemente haben in der virtuellen Realität einen entscheidenden Nachteil: Sie verringern das Präsenz-Gefühl des Betrachters maßgeblich, da sie (meist) keine Entsprechung in der Realität haben. GUI-Elemente sind in VR also meist zusätzliche Ebenen, die zwischen dem Nutzer und der Geschichte stehen. Weiterhin können komplexe GUI-Elemente auch abschreckend auf Nutzer ohne große Technik- und Videospielerfahrung wirken.

Ein Beispiel für ein graphisches User-Interface mit Blicksteuerung (das Beispiel stammt aus unserer Windkanal-VR-App, die wir für TLT-Turbo produziert haben).

Generell versuchen wir mit HRVR-Erfahrungen daher, auf graphische Elemente zu verzichten – dies ist letztendlich auch einer der Gründe, warum wir der Meinung sind, dass Entscheidungen nicht durch Betätigung virtueller Buttons getroffen werden sollten, sondern sich dynamisch aus dem Verhalten des Nutzers ergeben müssen. Sollen Entscheidungen getroffen werden, die sich nicht aus dem Verhalten des Nutzers ergeben, kann ein bewusster und reduzierter Einsatz von GUI-Elementen aber unter Umständen unumgänglich sein. Auch Menüs zu Beginn und nach Abschluss der Erfahrung sind ohne GUI-Elemente nur sehr umständlich realisierbar.

Wo möglich, sollte das GUI in die virtuelle Welt eingebettet werden, um das Präsenz-Gefühl so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Je nach Szenario kann das recht problemlos (z.B. durch Hologramme in einem Science-Fiction-Szenario) oder durch geschickten Einsatz von Requisiten (z.B. Bildschirme in einem Present-Day-Szenario) realisiert werden.

Ein Beispiel für VR-Controller (in diesem Fall handelt es sich um die Controller der Vive Index). © Foto: Bram Van Oost (Unsplash)

Wo graphische Elemente unverzichtbar sind, gilt es zu klären, wie Nutzer interagieren können: VR-Brillen unterstützen im Regelfall eigene Eingabegeräte, mit denen Nutzer wie mit einem Laserpointer virtuelle Buttons auswählen können. Für Nutzer, die noch kaum Berührungen mit VR-Technologien hatten, kann das unter Umständen etwas schwierig sein. Eine Alternative ist Blicksteuerung: Im Mittelpunkt des Blickfeldes erscheint ein kleiner Kreis, sobald ein Nutzer in die Nähe eines virtuellen Buttons blickt. Bewegt der Nutzer seinen Kopf nun so, dass der Kreis über dem Button liegt, läuft ein kurzer Timer im Mittelpunkt des Blickfeldes ab. Sobald dieser abgelaufen ist, wird der Button bestätigt. Bewegt der Nutzer vorher den Kreis vom Button weg, so stoppt auch der Timer. Diese Art der Interaktion ist für Anfänger etwas intuitiver, allerdings dafür – wegen der Zeit, die der Timer benötigt – etwas schwerfälliger. Anwendungen, die komplett ohne VR-Brille auf einem Smartphone genutzt werden, können selbstverständlich auch durch Touch-Eingabe bedient werden.

Lern- und Videospiele auf Basis von interaktiven 360°-Videos erstellen

Bis jetzt haben wir ja vor allem über interaktive Filme und 360°-Erfahrungen gesprochen – doch wäre es auch denkbar, Lern- und Videospiele mit dieser Technologie zu erstellen? Sie ahnen es schon: Das ist natürlich auch möglich. Im Folgenden möchten wir Ihnen ein paar Gedankenanstöße dazu geben.

Videospiele zeichnen sich, wie der Spieleentwickler Sid Meier oft zitiert wird, durch eine Aneinanderreihung interessanter Entscheidungen aus. Mit Realfilmen können Sie natürlich nur Entscheidungen darstellen, die eine beschränkte Menge an möglichen Ausgängen haben, da Sie für jeden möglichen Ausgang einen Filmclip produzieren müssen. Am besten eignen sich daher spielerische Anwendungen dazu, mit HRVR umgesetzt zu werden, deren Kern am Lösen von Rätseln liegt – so wie in klassischen Adventures oder (um ein Beispiel aus der realen Welt zu nennen) in Live Escape Rooms. Hier gibt es zumeist eine Lösung auf ein Problem und mehrere Pfade, die zwar in sich falsch sind, aber den Nutzer Hinweise auf die Lösung geben. Indem Sie einen Entscheidungspfad an Variablen knüpfen, die fast unmöglich zufällig auftreten können, können Sie derartige Rätsel gestalten.

Ein Beispiel: Ein Charakter versucht, einen Safe zu knacken. Damit ihm das gelingt, benötigt er aber eine Kombination, die ihm der Nutzer durch Spracheingabe sagen kann – allerdings nur, wenn er sie vorher durch Hinweise in anderen Pfaden herausfinden konnte.

Sie können auch Rätsel konstruieren, in denen Nutzer um die Ecke denken müssen:

In einer Anwendung wird der Nutzer Zeuge davon, wie ein Einbrecher durch das Fenster steigt und Wertgegenstände stiehlt. Er kann durch laute Geräusche Alarm schlagen, muss aber feststellen, dass ihn niemand hört. Allerdings hat er einige Minuten zuvor erfahren, dass der Postbote jeden Morgen um 9:30 Uhr die Post bringt. Um zu verhindern, dass der Einbrecher entkommen kann, muss der Nutzer also einerseits die Zeit am eigenen Gerät (außerhalb der Anwendung) verstellen und andererseits laut rufen, wenn der Dieb durch das Fenster steigt, sodass ihn der Postbote bemerkt.

Eine andere Möglichkeit, Elemente aus Videospielen in Ihre HRVR-Erfahrung einzubinden, ist es, mathematische Systeme im Hintergrund berechnen zu lassen, die durch Entscheidungen beeinflusst werden – ganz wie in einer Wirtschaftssimulation.

Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass der Nutzer in die Position eines CEOs eines Unternehmens versetzt wird. In seinem Büro ist er immer wieder mit Beratern konfrontiert, die ihm verschiedene Handlungsoptionen eröffnen – diese könnten auch in jedem Durchgang zufällig gewürfelt werden. Durch Spracherkennung kann der Nutzer Entscheidungen treffen, die jeweils Variablen wie den Börsenwert des eigenen Unternehmens, das Image der eigenen Marke, aber zum Beispiel auch die Umwelt-Bilanz der eigenen Produktion beeinflussen. Der Nutzer muss also abwägen, wie viele Entscheidungen er treffen kann, ohne die Kontrolle über eines dieser Systeme zu verlieren – und wird letztendlich mit den Folgen seiner Priorisierungen konfrontiert.

Durch eine Internetanbindung ist auch eine Auswertung möglich, welche Entscheidungen andere Spieler getroffen haben. Dies kann wiederum durch Spielelemente im individuellen Durchgang repräsentiert werden – beispielsweise könnten in einem Computerbildschirm auf dem Schreibtisch des Geschäftsführers im Beispiel Nachrichten zu sehen sein, die sich an den Ergebnissen anderer Spieler orientieren. Wenn andere Spieler den Umweltschutz vernachlässigen, wären hier beispielsweise Nachrichten von Waldbränden und anderen Umweltkatastrophen dominierend.

Das soll nur ein kleiner Einblick in die Möglichkeiten sein, die interaktive Filme und HRVR für videospielartige Anwendungen bieten. Generell würden wir empfehlen, den Videospiel-Anteil der Anwendung nicht zu groß zu gestalten, da Realfilm-Aufnahmen die Möglichkeiten im Vergleich zu komplett computergenerierten Anwendungen naturgemäß etwas einschränken. Elemente wie leichte Rätsel oder Auswertungen verschiedener Entscheidungen wie in einer Wirtschaftssimulation können HRVR-Erfahrungen aber auf jeden Fall bereichern.

Wie schreibt man für interaktive 360°-Anwendungen?

Haben Sie sich all diese Fragen und Möglichkeiten durch den Kopf gehen lassen, dann sollten Sie in der Lage sein, einen Entscheidungsbaum für Ihre Anwendung aufzuzeichnen. Auf dieser Basis können Sie Ihr Drehbuch schreiben. Dabei gilt: Jeder Entscheidungspfad ist eine eigene Szene. Am Ende jeder Szene ist der Entscheidungstrigger spezifiziert und alle Möglichkeiten mit Verweisen zu den entsprechenden nächsten Szenen.

Sie können beispielsweise schreiben, dass der Fortgang der Geschichte von der Aufmerksamkeit abhängig ist. Wenn der Nutzer innerhalb der letzten 10 Sekunden zu weniger als 70% auf den Charakter geblickt hat, dann folgt z.B. Szene 1.2.1.1, ansonsten Szene 1.2.1.2.

Das Drehbuch kann dann so gelesen werden, wie man es auch mit einem Choose-your-own-Adventure-Buch machen würde. So können Entscheidungspfade schon beim Lesen erahnt werden. Entsprechend sind Drehbuch-Revisionen einfach zu iterieren.

Für den eigentlichen Dreh muss das Drehbuch dann jedoch nochmals in ein Shooting Script umformatiert werden. Hierbei ordnen Sie die Szenen in der Reihenfolge an, wie sie gedreht werden können. Dabei macht es unter Umständen Sinn, einzelne hintereinander folgende Pfade zusammenzufassen – bestenfalls die Pfade, bei denen der Nutzer Überblendungen am ehesten bemerken würde. In unserem Beispiel würden Sie also unsere Szene mit der Szene verbinden, die folgt, wenn der Nutzer den Charakter beobachtet hat. In diesem Fall ist dann in der Anwendung keine Überblendung notwendig, da der folgende Entscheidungspfad übergangslos im gleichen Filmclip folgt. In der anderen Variante muss zwar überblendet werden, doch die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass der Nutzer im Moment der Überblendung nicht auf den Charakter achtet und so auch die Überblendung nicht bemerkt.

Beispiel für eine Szene im Drehbuch und dieselbe Szene als Shooting Script

Wichtig ist, dass Sie dafür Sorge tragen, dass die Zustände bei jeder Entscheidungs-Abzweigung möglichst exakt wieder hergestellt werden können, da Continuity-Fehler sehr auffallend sind.

Es kann sinnvoll sein, einzelne Bildbestandteile separat aufzunehmen. Um Speicherplatz zu sparen, werden – wenn möglich – die Videobestandteile, in denen sich etwas oder jemand bewegt, ausgeschnitten und als kleinere Videos über ein statisches Bild des leeren Raums gelegt. Wenn Sie so vorgehen wollen, empfiehlt es sich, die einzelnen Bildbestandteile im Shooting Script als eigene Szenen aufzulisten.

Um Speicherplatz zu sparen kann es sinnvoll sein, einzelne Bildbestandteile als separate Clips anzulegen und einzeln anzusteuern. Hier ein Beispiel aus unserem HRVR-Prototyp. Die einzelnen Clips wurden durch einen Schlagschatten hervorgehoben – in der Anwendung ist der Übergang nahtlos.

Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesem Blogartikel in Überlänge einen kleinen Einblick geben konnten, wie Sie interaktive 360°-Erfahrungen planen können. Falls Sie eine eigene Erfahrung produzieren wollen, würden wir uns freuen, mit Ihnen zu kooperieren – und auch wenn Sie schon eine eigene Anwendung programmiert haben, freuen wir uns über einen Austausch unserer Erfahrungen.

Wir entwickeln nicht nur neue 360°-Technologien, sondern produzieren selbst hochwertigen 360°-Content – unter anderem für namhafte Marken wie Disney, Amazon, Mercedes-Benz, Google, Continental, Riot Games, … Sie haben Interesse an einer 360°- oder HRVR-Erfahrung und suchen nach einem Partner, der mit Ihnen einmalige Konzepte entwickelt und die komplette Produktion auf höchstem Niveau stemmen kann? Auch dann sind Sie bei unserem Team aus 360°-Experten richtig.

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören!

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