Immer mehr Museen und kulturelle Institutionen setzen bei der Vermittlung ihrer Inhalte auf die immersive Kraft von AR-/VR-Apps und 360-Grad-Produktionen. Denn: kulturgeschichtliche Ereignisse, Wissenschafts-Themen oder innovative Forschungsfelder lassen sich durch virtuelle Technologien greifbarer machen.
Hier können sich Nutzer durch aktives Erkunden jeweiliger Inhalte selbst komplexeste Themen erschließen. Sind die entsprechenden Applikationen anspruchsvoll genug, fühlen sich AR-/VR-/MR-Anwender nicht nur kontextuell besser eingebunden, sondern entscheiden mit Hilfe gamifizierter/ interaktiver Ansätze auch selbst, wohin ihre „Reise“ geht.
Dieser individuelle Ansatz macht ein VR-Erlebnis zu einer nachhaltigen Erfahrung!
Vor einigen Monaten haben wir hier anhand eines der Konzepte aus unserer Konzeptschmiede einige Möglichkeiten eröffnet, wie vergangene Zeiten in der virtuellen Realität erlebbar gemacht werden können. Heute widmen wir uns einigen Beispielen, die zeigen, wie das jetzt schon geschieht.
Von Heiligen und Halunken
Auf den Einsatz von VR-Storytelling bei der Wissensvermittlung setzt auch das Land Baden Württemberg. Im Landesmuseum Stuttgart führt eine virtuelle Zeitreise ins Jahr 1465 zum Lichtensterner Altar und damit schnurstracks hinein in eine aufwendige 360-Grad-Produktion.
Durch 360-Grad-Videos können VR-Headset-Anwender reale Locations erkunden. Hierfür wird mit einer 360-Grad-Kamera (oder mehreren Kameras bzw. einem Kamera-Rig) gedreht. Der Betrachter nimmt unter dem Headset die Position der Kamera ein.
Der 360-Grad-Film „Heilige und Halunken“ ist allerdings nicht nur der Versuch einer historischen Rekonstruktion, sondern Ausgangspunkt für einen handfesten (wenn auch fiktiven) Kriminalfall: kurz bevor der durch die Äbtissin des Lichtensterner Klosters in Auftrag gegebene Altar seiner Vollendung entgegensehen darf, wird eine kostbare Reliquie entwendet.
Die Aufregung ist vorprogrammiert: Was wissen der Malermeister und seine Mitarbeiter zu berichten? Was hat es mit der Bedeutung um die Reliquie der Heiligen Ursula auf sich? Wie verhält es sich um die kunst-und kulturhistorische Einordnung des Lichtensterner Altaraufsatzes? Fragen über Fragen, mit denen sich der Ausstellungsbesucher auf Spurensuche nach Dieb & Diebesgut begibt.
Unter dem VR-Headset begegnet er hier Patriziern, Bauern und Ratsherren, kann seinen Bildausschnitt frei wählen und im eigenen Tempo z.B. die Werkstatt des Malermeisters Lienhard, die Kirche oder das Geschehen auf dem Markt erkunden. Dabei darf und soll verweilt, einzelnen Figuren bei der Arbeit oder Gesprächen über die Schulter geschaut und Räumlichkeiten erkundet werden.
Da um die Immersion zu wahren in 360-Grad-Produktionen innerhalb einer Szene normalerweise nicht geschnitten wird und in jede Richtung aufgenommen wird, muss am gesamten Set „alles sitzen“. In mühevoller Kleinarbeit galt es auch hier, wenig mittelalterliche Dachrinnen abzumontieren, alle Hintergründe genau unter die Lupe zu nehmen und die Kirche im Kloster Lichtenstern digital zu ersetzen – Kanzel und Bänke des Originals konnten der mittelalterlichen Optik nicht standhalten.
Brügge sehen und erleben…
Auch das Historium in Brügge bietet in Sachen immersives Storytelling eine Reise in die Vergangenheit.
Mit einem Audioguide ausgestattet finden sich Headset-Anwender inmitten mittelalterlicher Szenen wieder: im historischen Hafen und angrenzenden Lagerhallen, dem Atelier des großen Malermeisters Van Eyck, als Praktizierende beim Bogenschießen oder bei nächtlichen Fahrten auf Brügges Grachten. Mit City VR können Besucher schließlich noch sechs historische Locations (wie den Belfort-Turm am Markt, in dem einst wichtige Stadtkasse und -siegel aufbewahrt wurden) während einer Stadtführung direkt vor Ort in einer anderen Zeit erleben.
Auch architektonische Meisterwerke wie der Magdeburger Dom, die erste gotische Kathedrale auf deutschem Boden, lassen sich durch zuvor generierte Photogrammetrie-Scans virtuell erkunden. Dabei können VR-Headset-Anwender z.B. erfahren, wie sich damals das gesellschaftliche und soziale Leben auf Kirchenvorplätzen gestaltete oder welchem Schicksal sich Stadt & Mensch bei feindlichen Eroberungen ausgesetzt sahen.
Eye of the Owl VR
Ein weiterer Schritt ins virtuelle Mittelalter bietet die VR-App „Eye of the Owl VR„.
Monster und Dämonen, geheimnisvolle Trichter und Würfel, überdimensionale Ohren, ein scheinbar beiläufiger Gestus: Der an der Schwelle zur Neuzeit geborene Hieronymus Bosch schuf mit „Der Garten der Lüste“ eines der beeindruckendsten und zugleich unheimlichsten Gemälde der Kunstgeschichte.
Es macht natürlich Sinn, ein Werk wie eben dieses im Original zu bestaunen. Das um 1490 entstandene Meisterwerk hängt allerdings im Madrider Museo del Prado und: Boschs Gemälde ist dermaßen komplex aufgebaut, voller klein- und kleinstteiliger Figuren, dass eine VR-Erfahrung helfen kann, einen besseren Überblick über alle Facetten zu erhalten, die in dem Bild stecken.
Mit dem VR-Headset ausgestattet können die Nutzer mit Hilfe von verschiedenen Tools bei der Erkundung des 3-teiligen Meisterwerks auf Detailsuche gehen, bei der authentischer Weise weder altersbedingte Risse noch Pinselstriche fehlen dürfen. Um den Betrachter auch informativ durch die mystische Bildlandschaft des virtuellen Contents zu führen, werden auch wichtige Ergebnisse kunsthistorischer Forschungen offenbart. 3D-Sounds fungieren als auditives Handrailing, wie beispielsweise das Raunen einer im Bild befindlichen Gruppe, die es näher zu betrachten gilt.
AR-/VR-App-Anwendungen & 360-Grad-Produktionen bieten einen wichtigen Mehrwert bei der Informationsverarbeitung in unserer Gegenwart. Sie wollen selbst eine Ausstellung mit VR oder AR anreichern?
Bildrechte Titelbild: © Meik Schmidt – Adobe Stock