Immersion, Präsenz und das Uncanny Valley – was macht Ihr VR Projekt zu einem Erfolg?
Lesen Sie in dem folgenden Artikel was Immersion im Kontext von Virtual-Reality Erfahrungen bedeutet und wie Ihr VR-Projekt immersiv werden kann. Weiterhin wird das Konzept der Präsenz (Presence) im Kontext von VR-Experiences erläutert und das Mysterium des Uncanny-Valley umrissen.
„Heilige Scheiße, du bist echt echt.“
(Edward Furlong als John Connor erstaunt zu dem von Arnold Schwarzenegger verkörperten „T-800“ in TERMINATOR 2 – TAG DER ABRECHNUNG)
Bis wir solch einen Satz aus voller Überzeugung zu einem echten Androiden sagen können, wird wohl noch einiges an Zeit ins Land gehen (angesichts der Möglichkeit, dass es sich dabei tatsächlich um einen Terminator handeln könnte, ist dies wohl auch gut so). Doch neben allen technologischen Bestrebungen, Roboter und andere Hardware immer lebensechter zu gestalten, sind es vor allem die Entwicklungen im virtuellen, nicht „anfassbaren“ Bereich, welche derzeit in dieser Hinsicht die größten Fortschritte machen.
Virtual Reality Hype Cycle: Das Ende des Anfangs naht – virtuelle Welten werden erwachsen.
„Virtual Reality“ ist das Schlagwort der Stunde, täglich schießen Dutzende neue 360°-Anwendungen und VR-Videos wie Pilze im Herbst aus dem Boden. Die Technik erlebt dieser Tage ihren Durchbruch und findet auch in der breiten Öffentlichkeit einen stets größeren Anklang: In Gartners Hype-Zyklus schickt VR sich an, in den kommenden 5-10 Jahren das sogenannte „Plateau der Produktivität“ zu erreichen, der letzten Phase des Zyklus, in welcher die Vorteile einer neuen Technologie allgemein anerkannt und akzeptiert werden (vgl. hier oder hier). Im Umkehrschluss erlaubt dies die Folgerung, dass wir uns aktuell in einer Frühphase der Virtual-Reality Anwendungen befinden und die entscheidenden Use-Cases noch in der Zukunft liegen – auch wenn wir uns als Unternehmen schon jetzt darauf zubewegen, mit der Entwicklung eigener VR-Apps und hochqualitativen Inhalten.
Der Hunger nach immer lebendigeren und qualitativ hochwertigeren Illusionen der Realität ist groß. Das Publikum muss dabei allerdings nicht nur den Überblick über die unzähligen Inhalte, Angebote und Möglichkeiten behalten – ebenso muss es sich in einem Dschungel von ungeläufigen Begriffen zurechtfinden, die diese neuartigen Erlebnisse kategorisieren und beschreiben.
Tauchschein erforderlich? Immersiv abtauchen in virtuelle Welten!
Untrennbar mit dem Thema Virtual Reality verbunden ist u.a. der Terminus „Immersion“, obwohl es sich hierbei nicht um ein eigens für diesen Bereich entwickeltes Konzept handelt. Das Wort selbst ist ein vom lateinischen Verb „immergere“ (eintauchen) abgeleitetes Substantiv. Als Begriff im Sinne eines intensiven Wahrnehmens bestimmter Situationen ist der Ausdruck schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt und findet in diversen wissenschaftlichen Fachbereichen Verwendung, beispielsweise in der Pädagogik und Sprachwissenschaft: Hier beschreibt Immersion den Umstand, wenn insbesondere Kinder einem fremdsprachigen Umfeld ausgesetzt werden und so eine Sprache im Prinzip en passant erlernen. Gerade im medialen Bereich wird er häufig genutzt, um ein nachhaltiges Eintauchen in die (fiktionale) Welt des jeweiligen Mediums zu charakterisieren, zum Beispiel bei Büchern oder Filmen.
Immersion: Faszinierendes Taucherlebnis oder Sprung ins kalte Wasser?
Neben der Immersion hat sich auch das Konzept der „Presence“ oder „Präsenz“ als medienübergreifender Ansatz etabliert, um zu beschreiben, wie stark ein Individuum in die dargestellten Welten eintauchen kann. Was aber bedeuten beide Begriffe im direkten Bezug auf das Thema Virtual Reality nun genau? Inwiefern sind beide miteinander verknüpft, worin unterscheiden sie sich?
Immersion – mittendrin statt nur dabei
Generell dreht sich bei Virtual Reality alles um den Effekt, sich psychisch an einem anderen Ort zu befinden als man es physisch tatsächlich ist.
In ihrem Aufsatz A Framework for Immersive Virtual Environments (FIVE): Speculations on the Role of Presence in Virtual Environments definieren Mel Slater und Sylvia Wilbur Immersion als objektiv festellbaren Detaillierungsgrad der sensorischen Wiedergabetreue einer virtuellen Umgebung. Immersion ist dementsprechend ausschließlich von der messbaren Qualität der künstlichen Umgebung abhängig, welche sich nach Slater/Wilbur wiederum aus den Faktoren „Extensiveness“, „Matching“, „Surroundness“, „Vividness“, „Interactability“ und „Plot“ zusammensetzt:
- Extensiveness (engl. etwa Umfang, Reichhaltigkeit) beschreibt dabei die Bandbreite an sensorischen Modalitäten, welche dem Nutzer angeboten werden (z.B. optische, auditive oder auch physische Reize).
- Matching (engl. dazu passend oder der Vorgang des Passend-Machens) gibt die Übereinstimmung zwischen den sensorischen Modalitäten wieder (etwa eine angemessene visuelle Präsentation der entsprechenden Kopfbewegung).
- Surroundness (engl. etwa das „Umschlossen-Sein“) ist das räumliche Ausmaß der jeweiligen Reize bzw. deren „Panoramahaftigkeit“ (beispielsweise ein weites Sichtfeld, Raumklang, 360°-Tracking).
- Vividness (engl. Lebhaftigkeit oder Klarheit) stellt die Qualität der übermittelten Reize dar (z.B. Auflösung, Bildrate, Audio-Bitrate).
- Interactability (engl. die Möglichkeit der Beeinflussung) beschreibt die Fähigkeit des Nutzers, innerhalb der virtuellen Umgebung Veränderungen zu erwirken, sie zu beeinflussen und mit ihr zu interagieren.
- Plot (eng. Handlung) ist die eigentliche Geschichte; die kohärente Schilderung einer Aussage oder eines Erlebnisses, die dramaturgische Entfaltung des Geschehens.
Die rein sachdienliche Technologie mit ihrem Potenzial, den Betrachter in seinem VR-Erlebnis zu fesseln, steht hier eindeutig im Vordergrund. An dieser Stelle ist das Ziel – eine annähernd vollständige Beschreibung der Glaubwürdigkeit einer virtuellen Umgebung – allerdings erst zum Teil erreicht. Denn die wesentliche Komponente dieser Überlegungen fehlt nämlich noch: der Mensch selbst, der die von der Technologie gesetzten Reize erfahren und interpretieren soll. Wie der User solche virtuellen Erlebnisse subjektiv wahrnimmt, versucht das Präsenz- bzw. Presence-Konzept zu erklären.
Presence – sind wir schon da?
Kurz zusammengefasst geht es bei der Presence um das Gefühl des „Da-seins“, genauer um eine Selbstverortung in den virtuellen Raum, obwohl man, wie eingangs erwähnt, sich physisch ganz woanders befindet. Anders als bei der Immersion geht es hier um die subjektive, psychologische Reaktion eines Users auf eine VR-Welt, wobei die Presence freilich maßgeblich vom Grad der Immersion abhängig ist (z.B.: wie adäquat die virtuelle Umgebung auf die vom Nutzer getätigte Eingabe reagiert). Je höher die Immersion eines VR-Systems, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Rezipient auch tatsächlich so etwas wie Präsenz empfindet.
Persönliche Erfahrung und Erwartungshaltung haben ebenfalls einen großen Einfluss auf das jeweilige persönliche Erleben; Presence ist also sehr stark von der individuellen Prägung des Nutzers abhängig, insbesondere davon, inwieweit die abgerufenen sensorischen Daten mit den subjektiven Wertvorstellungen und internen Mustern des Users übereinstimmen. Die International Society for Presence Research (ISPR) eröffnet ihre erschöpfende Definition des Konzepts folgendermaßen:
„Presence (a shortened version of the term “telepresence”) is a psychological state or subjective perception in which even though part or all of an individual’s current experience is generated by and/or filtered through human-made technology, part or all of the individual’s perception fails to accurately acknowledge the role of the technology in the experience.”
Der Rezipient erlebt also einen virtuellen Ort, dortige Akteure und/oder Objekte als tatsächlich lebendig und vergisst dabei teilweise oder gar komplett die mediale Vermittlung der Illusion. Der Verlust des medialen Bewusstseins ist ein zentrales Charakteristikum des medienübergreifenden Presence-Ansatzes. Wenn eine vollständige Präsenz erreicht wurde, liegt der Fokus der Aufmerksamkeit des Rezipienten nicht mehr auf der kognitiven Erfassung der Technologie, sondern auf der Wahrnehmung der Objekte, Ereignisse und Handlungen in der virtuellen Welt selbst. User mit einem hohen Präsenzgrad während einem intensiven VR-Erlebnis würden dieses als einen Ort beschreiben, den sie eher besucht statt vorgeführt bekommen haben. Im Allgemeinen wird bei einer solchen Presence-Erfahrung zwischen vier unterschiedlichen Illusionsformen unterschieden:
- Die Illusion von stabiler Räumlichkeit: Das Gefühl, in einer physischen Umgebung zu sein. Idealerweise verhalten sich alle dem Rezipienten präsentierten Reize so, als ob diese von Objekten aus der echten Welt stammen würden. Störfaktoren, welche die Illusion beeinträchtigen oder zerstören (z. B. ein beschränktes Sichtfeld, kabelgebundene Headsets, niedrige Framerates oder lange Latenzzeiten), sind zu vermeiden.
- Die Illusion der Selbstverleiblichung: Die Empfindung, auch innerhalb der VR-Umgebung einen Körper zu haben. Viele VR-Anwendungen lassen den User körperlos zurück, da trotzdem ein recht hohes Presence-Gefühl erreicht werden kann – schließlich spielt in den meisten Fällen die Erkundung der Umgebung die Hauptrolle; erhält der User jedoch einen virtuellen Körper, welcher die Bewegungen des eigenen Körpers adäquat wiedergibt, wird die Presence-Wirkung massiv verstärkt. Solange die Bewegungen einander entsprechen, kann die konkrete körperliche Erscheinung interessanterweise sogar stark von der eigenen abweichen, ohne dass die Illusion in ihrer Überzeugungskraft einbüßt – letztendlich wechseln wir ja auch jeden Tag unsere Kleidung und erkennen uns trotzdem wieder.
- Die Illusion von physischer Interaktion: Die physische Resonanz eines visuellen Reizes. Wenn man beispielsweise in der virtuellen Welt gegen eine Wand läuft und eine entsprechende Reaktion ausbleibt, wird der Nutzer schnell aus der Illusion gerissen. Hier kann bereits mit einfachen Mitteln Abhilfe geschaffen werden, z. B. mit der Rumble-Funktion eines Controllers.
- Die Illusion von sozialer Kommunikation: Das Gefühl, tatsächlich sowohl verbal als auch durch Körpersprache mit einem Gegenüber in derselben Umgebung zu kommunizieren.
Realität vs. beabsichtigte Künstlichkeit – das unheimliche Tal
Ausgehend von den oben Überlegungen könnte man der Versuchung erliegen, die wirkliche Welt als Goldstandard und damit zum Ziel aller Bestrebungen im Zusammenhang mit VR zu erklären. Es wäre allerdings ziemlich langweilig, wenn das Beste, was mit all der wunderbaren neuen Technik jemals erreicht werden kann, etwas wäre, was es schon gibt.
Weiterhin scheint es so, dass die Qualität des subjektiven Erlebnisses des Rezipienten nicht zwangsläufig linear ansteigt, sobald sich die technische Qualität der Präsentation erhöht. Für diesen Umstand liefert das 1970 vom japanischen Robotiker Masahiro Mori beschriebene sogenannte „Uncanny Valley„-Phänomen eine mögliche Erklärung, welches nach heutigem Verständnis das generelle Verhältnis oder die Akzeptanz eines Betrachters von visualisierten, künstlichen Inhalten beschreibt – beispielsweise von Robotern oder abstrakten Avataren. Während man eigentlich annehmen sollte, dass die Akzeptanz bei steigendem Anthromorphismus (also dem „Vermenschlichungsgrad“) linear wächst, gestaltet sich das tatsächliche Empfinden der Nutzer ganz anders .
The Uncanny Valley
Die Grafik verdeutlicht, dass die These des linearen Akzeptanzanstiegs nur bis zu einem gewissen Maß des Anthromorphismus gültig ist. Wenn eine bestimmte Schwelle an Künstlichkeit bzw. Realitätstreue überschritten ist, fällt die Akzeptanz rapide ab und nimmt erst bei einem sehr hohen Anthromorphismus-Niveau wieder zu – das „Uncanny Valley“.
Was ist der Grund hierfür? Eine abschließende und allgemein anerkannte wissenschaftliche Erklärung für diese kontrovers diskutierte Besonderheit gibt es bis dato zwar noch nicht, dennoch ranken sich zahlreiche Theorien um die Ursache des unheimlichen Tals. Im Allgemeinen wird das Phänomen so erklärt, dass ab einem gewissen Grad der Realitätsnähe die Erwartungshaltung des Rezipienten stark ansteigt, da er die Inhalte unwillkürlich mit denselben Maßstäben misst, die er auch gegenüber einem wirklichen Menschen oder einer realen Umgebung anlegen würde. Abweichungen von der Norm würden dementsprechend als Hinweis auf Krankheiten interpretiert, analog zur physiologischen Aufgabe und Schutzfunktion von Ekel – der Nutzer entwickelt eine starke Aversion gegenüber dem fast, aber doch nicht ganz menschlichen Charakter. Wird diese Schwelle nicht erreicht, sind die Inhalte abstrakt genug, um nicht in den Anwendungsbereich dieser hohen Maßstäbe zu rutschen und könnten so problemlos als sympathisch und süß empfunden werden. Dieser Logik folgend könnten mit Hilfe von schrägen Cartoon-Charakteren sogar signifikant bessere VR-Erlebnisse erzeugt werden als mit lediglich fast fotorealistischen Menschen. Diese können die hohen Erwartungen schließlich erst erfüllen, wenn sie der Wirklichkeit annähernd hundertprozentig entsprechen und sich keine negativ wahrgenommene Abweichung von der Realität leisten – seien sie auch noch so klein.
Um das eigene VR-Erlebnis so intensiv wie möglich zu gestalten, wäre es also ratsam, virtuelle Wirklichkeiten positiv und vor allem möglichst unbelastet zu betreten. Man denke nur an die gleichzeitig naiv-unbedarften sowie schöpferisch-erfinderischen Spiele aus der eigenen Kindheit zurück: Fernab jeder Realitätstreue erreichten diese Erlebnisse einen Immersions- und Präsenzgrad, der seinesgleichen sucht. Und zu keinem Zeitpunkt hatte ein Mitspieler auch nur den geringsten Zweifel daran, dass die aus einem alten und mit Löchern versehenen Pappkarton bestehende Ritterburg „echt echt“ war.
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Bildrechte Infografik „Uncanny Valley“: ©Smurrayinchester, Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0-deed-en; Die Originaldatei ist hier zu finden.