Das Thema KI und Robotik ist ein heikles. In Zeiten von Arbeitsplatz-Optimierung und -Rationalisierung (Amazon Go) ist die Sensibilität auch verständlich. Doch der Highway der Digitalen Revolution offenbart sein positives Potenzial vor allem dann, wenn man mal in die kreativen Nebengassen abbiegt. Dort zeigt sich der Bot doch gleich in einem ganz anderen Licht, nämlich wenn durch ihn Raum für benachteiligte Menschen am Arbeitsmarkt geschaffen wird. Denn durch seine Automatisierung könnte in besonderen Fällen eine geringe wirtschaftliche Effizienz des Arbeitnehmers ausgeglichen werden – zum Vorteil des Menschen.
Im Folgenden wird beispielhaft aufgezeigt, wie dank der Digitalen Revolution und konkreter, kreativer Ideen der Weg zu einer sozialeren Gesellschaft geebnet werden könnte.
Der Bot: mein Kellner, dein Körper
Eine entsprechende Idee stammt von OryLaborartory , einem Startup, das sich auf Robotik für behinderte Menschen spezialisiert. Inspiriert wurde es dabei durch den Web-Anime „Times of Eve“. Namensgeber der Manga-Serie ist ein Café, in dem kein Unterschied zwischen den dort befindlichen Androiden und Menschen gemacht wird. Dieses fiktive Café diente OryLaborartory als Blaupause für OriHime: einem realen und 1,20 Meter kleinen Bot, der gelähmten Menschen den Weg ins Arbeitsleben und damit auch zurück in gesellschaftliche Strukturen ebnen soll. Mit diesem Ziel wurde in Alasaka, Tokio vom 28. Nov. – 7. Dez. 2018 testweise das Dawn-Café (als Beta-Version: Dawn ver.ß) eröffnet. Dessen Gäste wurden durch lauter eifrige OriHime-Bots begrüßt, die sogleich Bestellungen entgegennahmen und an die Tische lieferten. Der Clue: Jeder Roboter wurde dabei jeweils durch einen gelähmten Menschen gesteuert.
Das Dawn-Café-Projekt wurde mittels Crowdfunding finanziert und dank Kooperationen zwischen OryLaboratory, All Nippon Airways (ANA), der Nippon Foundation und der Avatar Robotic Consultative Association (ARCA) realisiert. Die entwickelten Roboter verfügen über künstliche Sinne und können sehen, hören und sprechen – die eingebauten Kameras, Mikrofone und Lautsprecher machen es möglich. Dank einer speziellen Software können selbst Menschen die an Muskelschwund (z.B. ALS) leiden, also an einer degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems mit Auswirkungen auf das Sprachzentrum, über den Bot wieder mit Gästen kommunizieren.
Im Detail funktioniert das wie folgt: ALS-Patienten nutzen zur Kommunikation eine transparente Tafel im A3-Format. Darauf sind Zeichen entsprechend der japanischen Silbenschrift angeordnet. In Kombination mit spezieller Eye-Tracking-Technologie ist es den Nutzern letztlich möglich, allein durch deren Blickrichtung die Zeichen auf der Tafel anzuwählen. Diese Lösung bietet sich vor allem deshalb an, weil die Augenmuskeln häufig die einzigen von der Krankheit verschonten Bereiche im Körper des ALS-Patienten bleiben.
Anwesenheit statt Einsamkeit
Der CEO von OryLaboratory, Kentaro Yoshifuji, weiß um die direkten Auswirkungen ernsthafter Erkrankungen auf den persönlichen Alltag. Mehrere Jahre lang litt er unter stressbedingten Symptomen, die es ihm unmöglich machten, seinen Schulalltag auf gewohnte Weise weiter zu führen. Später, an der Universität, versuchte er immer stärker sein einstiges Defizit gesamtgesellschaftlich aufzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund widmete er sich der Robotik- und KI-Forschung.
„Unsere Vision ist es, die Einsamkeit zu lösen. Es gibt viele Menschen, die sich einsam auf der Welt fühlen, weil sie nach einem Krankenhausaufenthalt keine Zeit mit ihren Familien verbringen können (…). Als ich jünger war, konnte ich von der 3. bis zur 5. Klasse selbst keine Schule besuchen. Als ich alleine in meinem Krankenzimmer war, wurde mir klar, dass sich die Menschen nicht nur einsam fühlen, weil sie körperlich allein sind, sondern auch verlieren, wenn sie nicht in die Gesellschaft einbezogen werden…“
K. Yoshifuji, CEO OriLabs
Auch die weiteren Einsatzmöglichkeiten des OriHime-Bots kreisen alle um den Bereich der Telepräsenz. Mit OriHimes Hilfe können Kinder z.B. vom Krankenbett aus unterrichtet werden. Auch können die Bots beispielsweise an Familienausflügen teilnehmen, stellvertretend für ein krankes Familienmitglied. Jenes kann somit trotz körperlicher Abwesenheit geistig und interaktiv am gemeinsamen Erlebnis teilhaben.
Menschen, die also aufgrund ihrer Krankheit bislang nicht nahtlos in unseren gesellschaftlichen Alltag integriert werden konnten, bekommen durch OriHime in unserer Mitte einen Platz und im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme.
Speziell im Vergleich zur Videotelefonie bewirken OriHime-Avatare dabei mehr Aufmerksamkeit am „anderen Ende der Leitung“. Konkret spiegelt sich das wiederum in tiefergehenden Gesprächen und Diskussionen mit den erkrankten Personen wider. Der Grund ist einfach: Bekommen Stimmen eine materielle Präsenz im Raum, präsentiert sich auch der Diskurs greifbarer. Im Klartext: OriHime, als Stellvertreter, kann seinen bedürftigen Anwendern dank seiner physischen Präsenz und beweglichen Strukturen leichter Gehör verschaffen.
OriHime – die Fortsetzung der Telepräsenz
Telepräsenz ist indes natürlich ein alter Hut. Ursprünglich verknüpfte man mit dem Thema vornehmlich Bestrebungen zur Kosten- und Ressourceneinsparung. Dass Virtual-Reality und Künstliche Intelligenz mehr können, eben zum Beispiel auch Krankheitsverläufe und das Miteinander erleichtern, ist inzwischen ebenso bekannt. Im weitesten Sinne führte hier eins zum anderen: In den 80er Jahren legte man in der Forschungsentwicklung Marvin Minskys zur Telepräsenz ausschließlich Wert auf die Kosten-und Nutzeneffizienz. Diese Forschungsansätze bedingten aber wiederum bahnbrechende operative Telepräsenz-Technologien, z.B. die Mikrochirurgie oder VR-App-Entwicklung. Eine lange Historie im Bereich der Telepräsenz hat auch der Telesar V vorzuweisen. Vor bereits 30 Jahren wurde sein Prototyp (Telesar I) zu einem multisensorisch rückkoppelnden jedoch physisch unabhängigen Avatar seines Anwenders. Heute knüpft OriHime mittels einer Kombination aus modernen Technologien an das Avatarkonzept der Telesar-Baureihe an und verhilft Telepräsenz somit in medizinischer Hinsicht eine neue qualitative Stufe zu erklimmen.
Neu ist dabei, dass die Befehlseingaben ausschließlich mit Hilfe des Blicks ausgeführt werden können. Zuvor war der Großteil der Bots im Bereich Telepräsenz noch auf haptisch und taktilen Input angewiesen. Die für OriHime verwendete Bildschirmsteuerung via Eye-Tracking kam unter Windows 10 zuvor in der Game-Branche zum Einsatz. Mit Hilfe der Hardware von Tobii, kommunizierte man dabei via Launchpad und der Verweildauer des Blicks auf entsprechenden Schaltflächen.
Übrigens: Eye-Tracking war auch Thema auf der CES 2019 – Stichwort: Foveated Rendering.
Die Entwickler von OryLaboratory rechnen damit, dass die Beta-Phase von OriHime erst in den kommenden Jahren (ab 2020) abgeschlossen sein wird – getreu Minskys Durchhalte-Motto: „Du verstehst nichts, bis du es nicht auf mehr als einem Weg verstehst“. Derweil stehen Kunden kleinere und leichtere Ausführungen des Bots mit eingeschränkten Funktionen zur Verfügung. Im Hinblick auf das gesamte, soziale Potenzial und die vielseitigen medizinischen Einsatzmöglichkeiten eines voll funktionstüchtigen OriHimes kann man also vorerst nur auf einen langen Atem der Entwickler und Sponsoren hoffen.
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