Insta360 Pro-Kameratest: Wird der Neueinsteiger die 360-Grad-Filmproduktion auf den Kopf stellen?

2. Februar 2018 Marius Mülhaupt

Insta360 Pro-Kameratest: Wird der Neueinsteiger die 360-Grad-Filmproduktion auf den Kopf stellen?

Filmproduktion in 360° – Testbericht Insta360 Pro

 

Der nachfolgende Testbericht wurde verfasst im Hinblick auf die Eignung der Insta360 Pro Kamera im Bereich der professionellen 360-Grad-Filmproduktion. Von Experten für Experten, unter Berücksichtigung der Workflows im Rahmen von 360° Filmproduktionen und unter Beachtung der daraus resultierenden spezifischen Anforderungen.

Wer 360-Grad-Videos filmen wollte, war lange Zeit gezwungen, auf herkömmliche Actionkameras zurückzugreifen, die in eigens angefertigten Metallgehäusen auf möglichst engem Raum verbaut wurden, wie die Systeme von RIZE – vormals 360 Heroes. Wer schon einmal mit solchen Kameras gearbeitet hat, den wird es kaum verwundern, dass derartige Konstruktionen mit Kameras, die nicht für diesen Zweck entwickelt wurden, eine ganze Hand voll von technischen Problemen mit sich bringen: Selten liefen alle Kameras im exakt synchronen Takt und durch die enge Konstruktion kam es schnell zu diversen Überhitzungsproblemen.

Im Consumerbereich wurde dieses Problem schon vor einigen Jahren erkannt. Der Markt wurde geflutet mit verschiedenen niedrigpreisigen All-in-One-Kameras, die jedoch alle eines gemein hatten: Durch fehlende Einstellungs- und Anpassungsmöglichkeiten, geringe Auflösungen und verbesserungsfähige technische Eigenschaften waren sie für den professionellen Einsatz bestenfalls als Notlösung zu gebrauchen. Lediglich Nokia bot mit der High-End-Kamera OZO ein System an, dass diesen Anforderungen entsprach – der hohe Preis von 60.000$ führte jedoch dazu, dass diese Kamera keine flächendeckende Verwendung fand und die Produktion in der Zwischenzeit wieder eingestellt wurde. Bleiben im High-End Bereich noch Google Jump und Jaunt VR One zu erwähnen, die jedoch aktuell über den Status als exotische Proof-of-Concept Modelle nicht hinausgekommen sind.

Während etablierte Player im 360-Grad-Markt wie Google und GoPro weiterhin auf die Verwendung mehrerer Kameras setzen (wenn auch mittlerweile mit der GoPro Odyssey in einem runderen Gesamtpaket), taucht ein neuer Anbieter am Horizont auf, der den Markt der professionellen 360°-Videografie aufmischen will: Insta360.

Die Insta360 Pro

Ob Insta360 mit ihrer auf der CES 2017 erstmals angekündigten Insta360 Pro wirklich halten kann, was sie verspricht, ist eine spannende Frage: Die 8k-fähige Kamera kann stereoskopische Aufnahmen erzeugen (dann allerdings in einer Auflösung von 6k), zeichnet Spatial Audio auf, besitzt ein eingebautes Gyroskop und einen Modus zum einfachen Einrichten von Livestreams. Neben dem unschlagbaren Preis von ca. 3.500€ lässt auch der Fakt, dass die chinesische Firma zuvor lediglich Consumerkameras für Smartphones entwickelt hat, aufhorchen. Doch spekulieren kann man viel: Wir wollten wissen, was die Kamera wirklich kann und haben sie daher in 360 Grad auf Herz und Nieren getestet.

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Der erste Eindruck der Insta360 Pro

Die Kamera wirkt stabil und hochwertig. Sie wird angeliefert in einem gebrandeten Transportkoffer, in dem sämtliches benötigtes Zubehör enthalten ist. Betrieben wird die Kamera über einen mitgelieferten Akku, der eine Laufzeit von knapp über einer Stunde verspricht, oder direkt per Netzkabel. Die Kamera speichert entweder direkt auf eine per USB 3.0 oder USB Typ-C angeschlossene Festplatte oder auf SD-Karte. Aufgrund der hohen Datenrate sind nur Speicherkarten mit einer Speedclass V30 oder höher kompatibel. Die Linsen sind bedeckt mit einem Gummiring – dies hat den Vorteil, das keine einzelnen Lenscapes verloren gehen können. Wir befürchten allerdings, dass unvorsichtiges anbringen (wie z.B. mit Dreck auf einer der Linsen) durch diese Art des Schutzes leicht zum Verkratzen der Linsen führen könnte.

Die Bedienung

Die Kamera besitzt ein kleines Display zur Navigation im Menü und 5 Tasten zum Umschalten zwischen verschiedenen Menüpunkten. Deutlich bequemer und auch funktional umfangreicher gelingt die Bedienung mit der Smartphone- oder Desktop-App. Hier kann live eine Vorschau erzeugt werden und auf jede der zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten komfortabel zugegriffen werden. Die App kann sich mit LAN oder WLAN (in einem eigenen Netzwerk oder über ein bestehendes Netzwerk) mit der Kamera verbinden. Die Latenz ist spürbar, für Vorschauzwecke jedoch vollkommen ausreichend. Die Möglichkeit, ein flüssiges Kamerabild fast in Echtzeit auf das Smartphone oder den Laptop zu übertragen, ist im Rahmen von straff getakteten Produktionsabläufen Gold wert. Auf diese Weise kann viel Zeit beim Einrichten und beim Blocking gespart werden. Mit einem Google Cardboard kann die Vorschau sogar als immersive Erfahrung betrachtet werden. Die Livevorschau funktioniert auch während der Aufnahme, dann allerdings nur mit verringerter Framezahl.

Technische Daten der Insta360 Pro

In der Kamera verbaut sind sechs F2,4-Fischaugenobjektive mit einer Brennweite von 10,57mm. Die Kamera kann die Bilder separat aufnehmen und optional gleichzeitig und in Echtzeit ein erstes Stitching erstellen. Bei dieser Funktion verringert sich jedoch die maximal mögliche Auflösung. Durch die geringe Brennweite deckt jede einzelne Linse im 3D-Modus mehr als ein drittel des gesamten 360-Grad-Raumes ab. Somit können auch stereoskopische Aufnahmen erstellt werden. Im 2D-Modus sind die Einzelbilder jeder Linse in der Horizontalen leicht beschnitten, die Auflösung in der Vertikalen steigt dafür an, sodass nach dem Stitching in diesem Modus ein 8k-Video erstellt werden kann. Die Kamera zeichnet bei voller Auflösung ausschließlich 29,97 fps auf. In einem speziellen Slow Motion-Modus können auch Framerates von 60 und 120 fps ausgewählt werden, hierbei leidet die Auflösung jedoch sehr stark.

Einstellungsmöglichkeiten der Insta360 Pro

Insta360 bietet bei Bedienung mit der App eine ganze Hand voll von Einstellungsmöglichkeiten an. Das ist für den professionellen Einsatz sehr praktisch, da somit beispielsweise Kontrast und Belichtungszeit individuell auf die Umgebung angepasst werden können. Leider schießt Insta360 an dieser Stelle etwas über das Ziel hinaus: Mit einem Schieberegler kann man jeden beliebigen Wert auf einer Skala von 0 bis 100% einstellen. Der eigentlich relevante und sinnvolle Bereich ist aber deutlich geringer. Auf dem Smartphone gerät die Einstellung per Schieberegler daher zur Geduldsprobe. Auch das flache Bildprofil, das die Kamera optional anbietet, klingt auf dem Papier besser als es in der Praxis ist: Das Bild ist deutlich stärker entsättigt, als man es von anderen Kameras gewohnt ist. Da die Aufnahmen nur in dem verlustbehafteten h.264-Codec mit 8 Bit Farbtiefe erfolgen, gehen in diesem Modus leider sehr viele Bildinformationen verloren. Das ist sehr schade, da der höhere Dynamikumfang in diesem Modus sehr interessant gewesen wäre.

Update: Die Kamera wurde getestet mit der Firmware v165. Insta360 hat seitdem stark nachgelegt und vor Allem die Farbprofile in Updates überarbeitetet. Sowohl die neuere Insta360 Pro 2 als auch das erste Modell der Insta360 Pro beseitigen damit den größten Schwachpunkt. Das logarithmische Profil kann nun gut bearbeitet werden.

Das Bild der Insta360 Pro

Die Qualität der Aufnahmen weiß zu überzeugen, dennoch gäbe es Luft nach oben. Gerade in dunklen Bildbereichen ist die Kamera rauschanfällig, wenn auch nicht ganz so stark wie ein vergleichbares GoPro-Setup. Von den unzähligen ISO-Werten, die sich in der Kamera einstellen lassen, sind nur die niedrigsten Werte verwendbar. Die Kamera überhitzt auch im Langzeittest nicht.

Der Ton der Insta360 Pro

Um eine solch lange Laufzeit zu bewerkstelligen, ist in der Kamera ein sehr lauter Lüfter verbaut, der bei allen Aufnahmen über 30 Minuten zwangsweise angeschaltet werden muss. Der Ton taugt aber auch bei ausgeschaltetem Lüfter nur gerade noch als Referenzton – wir mussten ihn in der App auf den Maximalwert (+30 db) hochregeln, um überhaupt einen ohne weitere Postproduktion hörbaren Ton aufnehmen zu können. Selbst für die niedrigbudgetiertesten Projekte ist der Kameraton also nicht verwertbar. Das ist besonders schade, da Insta360 auf ihrer Seite selbst mit dem Spatial Audio wirbt, das direkt in der Kamera berechnet werden könnte – ein tolles Feature, wenn entsprechend leistungsfähige Mikrofone verbaut worden wären. Da bei fast allen professionell produzierten Produktionen jedoch sowieso mit externen Mikrofonen aufgenommen wird, ist dieses fehlende Feature zu verzeihen. Als Alternative kommt hier zum Beispiel das VR-Mic Ambeo von Sennheiser in Frage, dass jedoch gut mit einem Drittel des Kamerapreises zu Buche schlägt.

Andere Modi der Insta360 Pro

Neben dem Videomodus bietet die Insta360 Pro auch Modi für Livestreaming, Fotos und Zeitraffer. Das Livestreaming in 4k funktionierte in unserem Test reibungslos. Als Testplattform nutzten wir Youtube. Das Echtzeit-Stitching weist eine vergleichbar hohe Qualität auf, die für diesen Einsatzzweck hinreichend ist. Der Fotomodus bietet eine ähnliche Qualität wie der Videomodus. Fotos können als JPG oder RAW gespeichert werden. Ein HDR-Modus ist mit an Bord. Auch der Zeitraffer-Modus ist solide. Der Shutterspeed ist dabei frei einstellbar, die geringste Frequenz zwischen zwei Auslösungen beträgt 2 Sekunden.

Fazit Kameratest Insta360 Pro

Die Insta360 Pro bietet ein sehr rundes Gesamtpaket, ist aber an vielen Stellen immer noch verbesserungswürdig. In Sachen Bildqualität hat die Kamera im Vergleich zu GoPros zwar deutlich die Nase vorne, wirkt aber dennoch im Vergleich zu traditionellen digitalen Filmkameras wie in den Kinderschuhen. Einige verpasste Chancen wie bessere verbaute Mikrofone hindern die Kamera daran, ihr volles Potential auszuschöpfen. Dennoch: Wer den Anspruch hat, professionell im 360-Grad-Raum zu arbeiten kommt derzeit kaum um die Insta360 Pro oder die mittlerweile veröffentlichte Insta360 Titan, die sich in einem nochmals höherem Preissegment ansiedelt, herum – Die Insta360 Pro ist eine Kamera, die in der oberen Liga der 360-Grad-Videographie mitspielen kann und dennoch preislich erschwinglich bleibt.

In den letzten Jahren sind 360°-Videos immer verbreiteter geworden. Nach wie vor rar gesät ist dagegen gutes Storytelling in 360°. Mit unserer Hyperresponsive-Virtual-Reality-Technologie (HRVR) haben wir eine technische Grundlage geschaffen, die 360°-Videos aus den Fesseln der Linearität befreit und können so 360°-Filme produzieren, die individuell auf das Verhalten des Zuschauers reagieren. Wie das funktioniert, lesen Sie in unserem Artikel „Linear war gestern“.

 

Hyperresponsive Virtual Reality - Der nächste Schritt des 360°-Storytellings

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