In einer Untersuchung beleuchtete das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven (DAH) die Geschichte des Kriegsgefangenen August Schlicht nicht nur im Rahmen traditioneller Ausstellungsweisen, sondern auch mit Hilfe von VR.
Dabei war es den Initiatoren wichtig, eine virtuelle Installation zu erschaffen, welche weder mit historischen Objekten konkurrieren, noch deren historische Integrität manipulieren würde.
Im Verbundprojekt „museum4punkt0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“ im Teilprojekt „Migrationsgeschichte digital erleben“ sind verschiedene Projekte entstanden. Die Bandbreite reicht von der Entwicklung verschiedener Virtual- und Augmented Reality-Anwendungen, Multimedia-Guides, partizipativer Plattformen bis hin zu umfangreicher Nutzer-Forschung im Rahmen einer Studie.
Ziel der Studie im DAH war es, das Besuchererlebnis und die Wirkung von VR auf die Emotionen der Besucher zu untersuchen.
Geschichten fühlen
Vier Fragestellungen standen im Zentrum der Studie:
1. Welche Wirkung hat Virtual Reality auf die Emotionen der Besucher während ihres Ausstellungsbesuchs?
2. Wie wirkt sich Virtual Reality auf die Zufriedenheit der Besucher aus?
3. Welchen Effekt hat der Einsatz von VR auf die Wissensbildung im Rahmen des Museumsbesuches?
4. Inwiefern erleben Besucher reale und virtuell dargestellte Objekte unterschiedlich?
Bei der Wahl des Mediums (VR/AR/MR) stützte man sich zunächst auf Besucher-Befragungen, technische Möglichkeiten im musealen Raum sowie Budgets. Die Umfrage unter Besuchern zeigte z.B., dass diese vorzugsweise museumseigene Technologien anstatt private Smartphones nutzen wollten. Mit Blick auf intuitive Bedienbarkeit, Akkulaufzeit & Tragekomfort wurden schließlich Samsung Odyssey VR-Headsets angeschafft.
Das grundlegende Ausstellungs-Konzept sah vor, die Geschichte Schlichts in mehreren Räumen abzubilden (ein Hauptraum als Wohnzimmers des 20. Jahrhunderts mit historischen/biografischen Hintergrundinfos und davon abgehenden Nebenräumen). Die meisten dieser Nebenräume existieren physisch – doch für zwei Nebenräume wählte man eine Umsetzung mittels VR-Installation.
Während der Hauptraum ein Gefühl der Abwesenheit August Schlichts vermitteln sollte, bieten die Nebenräume private, intime Einblicke und erzeugen so Emotionalität. Die Emotionen „Sehnsucht“ & „Ohnmacht“ sind dabei zentral.
Der traditionell ausgestellte Themenkomplex „Sehnsucht“ behandelt vor allem Briefe aus der Kriegsgefangenschaft an Frau und Tochter oder das lange Warten auf bestimmte Gegenstände, etwa eine bedeutsame Fotografie oder eine Mütze aus der Heimat. Es wird rekonstruiert, wie sich Schlicht an gemeinsame Familienurlaube erinnert und was es bedeutet haben muss, sieben lange Jahre fern der Heimat russischer Gefangenschaft ausgesetzt zu sein,
Im VR-Ausstellungsraum zur „Ohnmacht“, wurde die endlose Weite der sibirischen Landschaft unter Einblendung der vielen verstreichenden Monate in Kriegsgefangenschaft mittels eines 360-Grad-Videos aufbereitet. Die Ausstellungsmacher verzichteten in Anbetracht des Ausstellungsthemas bewusst auf interaktive Technologie.
Der virtuelle Raum zum Thema „Sehnsucht“ dagegen wurde als blickgesteuerte Anwendung konzipiert, die es Besuchern ermöglichte, selbstständig durch die VR-Anwendung zu navigieren. Nutzer konnten sich hier mit Objekten auseinandersetzen, die für Schlicht von großer Bedeutung waren.
Das DAH wählte also einen eher reduzierten Umfang an Interaktionen. Im Gegensatz dazu stehen hoch immersive VR-Anwendungen mit umfangreichen Interaktionsmöglichkeiten. Interaktive VR bedient sich gamifizierter Elemente, um den Nutzer zum aktiven Teil einer Geschichte zu machen. Zum Beispiel können Anwender einen höheren Grad an Motivation und Partizipation durch das Erreichen von klar kommunizierten Zielen erreichen – beispielsweise das Auffinden von Gegenständen. Genauso können Interaktionen aber auch genutzt werden, um die Immersion zu erhöhen – beispielsweise durch das aktive Bedienen einer virtuellen Maschine – und den Nutzer damit in für die Geschichte wichtige Positionen zu lenken.
Mit Blick auf die ernste Thematik der Ausstellung, verzichtete das Team gänzlich auf solch einen gamifizierten Ansatz.
Im Rahmen der zum Projekt gehörenden Studie erfragte man neben demografischen Hintergründen (Alter, Herkunft, Geschlecht, Bildungsstand), ob sich Besucher durch das Tragen einer VR-Brille von ihrer Umgebung isoliert fühlen würden. Dieser Gedanke erschien sehr wesentlich, da Ausstellungsgänger häufig gemeinsam mit Familienangehörigen/Freunden Ausstellungen aufsuchen. Die umgesetzten Installationen bieten jedoch keinerlei Interaktionsmöglichkeiten zwischen verschiedenen VR-Nutzern.
Auch die virtuelle Reproduzierbarkeit und Walter Benjamins Gedanke von der Einzigartigkeit künstlerischer und historischer Objekte („Aura“) spielte für die Initiatoren eine wesentliche Rolle.
GEW, Emotion im Fokus
Zur Erfassung der Emotionen nutzte das Team das GEW (Geneva Emotion Wheel) des Schweizer „Center for Affective Sciences“. Dieses Modell zentriert 20 emotionale Zustände, wobei Anwender beliebig viele Emotionen auswählen können und die Intensitätseinstufung anhand von 5 unterschiedlich großen Kreisen möglich ist. Allerdings kann das Modell um weitere Emotionen ergänzt werden.
Vorteilhafterweise befanden sich auf dem GEW-Modellbogen nicht die Gefühlszustände „Sehnsucht“ & „Ohnmacht“.
Über das Modell erhielt das Studienteam Informationen darüber, ob Besucher eine bestimmte Emotion empfunden haben oder nicht. Andererseits ergab sich durch die Intensitäts-Skala ein Hinweis, ob Gruppen oder Einzelpersonen eine bestimmte Emotion im Zusammenhang mit der Ausstellung stärker bewerten würden.
Intention war jedoch nicht primär, Besucher anhand von VR eine stärkere Verbindung zum Soldaten August Schlicht aufbauen zu lassen, sondern eine emotionale Verbindung zu dessen Erfahrung der Zwangsmigration zu schaffen – besonders mit Blick auf die Tatsache, dass Zwangsmigration heute noch genauso existiert, wie zu Schlichts Lebzeiten.
Das Ausstellungsexperiment war daher auch so angelegt, dass Besucher vergangene & gegenwärtige Erlebnisse der Zwangsmigration besser verstehen lernen.
Im GEW-Modell erreichten Trauer, Mitgefühl, Liebe und Enttäuschung die stärksten Zustimmungswerte. Das Gefühl der „Enttäuschung“ wurde v.a. mit dem Ohnmachts-Themenraum assoziiert.
Zusätzlich zum GEW wurden die Besucher danach gefragt, welchen Einfluss VR auf die von ihnen aufgeführte Emotion hatte.
59 Prozent der Teilnehmer meinten, die virtuelle Aufbereitung der Geschichte hätte die eigene Emotionalität erhöht, 6 Prozent sahen eine Verringerung der eigenen Emotionalität durch VR, 32 Prozent sahen keine Auswirkungen auf die emotionale Intensität („Wie hat sich für Sie VR auf die Geschichte August Schlichts ausgewirkt?“).
Die Studie zeigte auch keine Korrelation im Hinblick auf Alter und Häufigkeit von Ausstellungsbesuchen.
Interessanterweise zeigte jedoch die Gruppe mit der geringsten Frequentierung den geringsten emotionalen Effekt.
Anhand von Fokusgruppen-Interviews mit Fachleuten aus dem Bildungs- und Museumsbereich wurde das Konzept vor Ort in seiner Praxistauglichkeit vorgestellt (Ausstellungsbesuch, Erläuterung des Konzeptes und Gruppendiskussion), während aus Besucher-Fragebögen u.a. folgendes hervorging:
- 75 Prozent der Teilnehmer hatte Interesse an der Darstellung historischer Gegenstände aus dem Alltag in VR
- 73 Prozent bzw. 70 Prozent hatte Interesse an der Rekonstruktion historischer Orte und Fotos
- das geringste Interesse bestand an virtuellen Dioramen (19 Prozent)
Gefragt nach der bevorzugten Informationsvermittlung gaben an:
- 64 Prozent: Museumsrundgang oder Führung mit der Möglichkeit, Personal bei inhaltlichen Fragen anzusprechen
- 62 Prozent: Präsentation historischer Objekte und/ oder Fotos, die ihnen mehr über die Geschichte erzählen könnten
Lehrreich & anregend
Nach dem Besuch der Virtual-Reality-Anwendungen wurden die Teilnehmer gebeten, Adjektive auszuwählen, mit denen sie ihre Erfahrung beschreiben würden. Hierzu stand eine Liste aus 14 Begriffen – sieben positiv konnotierten und sieben negativ konnotierten – zur Verfügung.
Das Adjektiv „unterhaltsam“ bekam mit 52 Prozent die höchste Stimmzahl.
Darauf folgten mit jeweils über 40 Prozent „lehrreich“ und „angenehm“, „anregend“ und „unkompliziert“.
„Anstrengend“ war mit 16 Prozent die meist genannte negativ konnotierte Antwortmöglichkeit.
Positive Emotionen, wie Unterhaltsamkeit & Vergnügen, hätten das Potenzial, die Wissensbildung bei einem Museumsbesuch zu unterstützen.
Insgesamt waren die Reaktionen auf das interaktive Format deutlich positiver als auf das in der Ausstellung gezeigte 360-Grad-Video.
Teilnehmer, die „Sehnsucht“ als VR-Anwendung gesehen hatten, wählten häufiger die Adjektive „anregend“ und „unterhaltsam“. Die Adjektive „enttäuschend“, „langweilig“ oder „frustrierend“ wurden erkennbar weniger häufig genannt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass in der Virtual Reality – wie in traditionellen Ausstellungsumgebungen – das Besuchserlebnis verbessert wird, wenn man den Besuchern die Möglichkeit gibt, die präsentierte Information selbstständig zu erkunden und sich aktiv mit Inhalten auseinanderzusetzen.
In der Anschluss-Befragung hoben die Teilnehmer den immersiven Charakter und die Szenografie hervor. Die visuellen Elemente, die im Ganzen positive Reaktionen hervorriefen, trugen allerdings auch gleichzeitig im Detail zu negativen Reaktionen bei. So wurde die grafische Darstellung der Virtual-Reality-Anwendungen von 40 Prozent der Teilnehmenden als schlechtestes Element bezeichnet. Dabei wurde die Animation sowie der fehlende Realismus der Darstellung beanstandet. Diesen Widerspruch (negative Bewertung der Grafiken trotz Positiv-Feedback) sahen die Initiatoren allerdings dem Umstand geschuldet, dass es sich bei den virtuellen Technologien lediglich um Prototypen handelte.
Teilnehmer, die „Ohnmacht“ als Virtual Reality gesehen hatten (52 Prozent), erwähnten die Grafik deutlich häufiger als Kritikpunkt, als diejenigen, die Sehnsucht als Virtual Reality gesehen hatten (29 Prozent).
„Ohnmacht“ thematisierte die sibirischen Weite, während „Sehnsucht“ eine abstrakte Umgebung (i.S.v. Schlichts möglicher Gedankenwelt) mit einer Collage aus historischen Postkarten/Strandbildern verband.
Die Ergebnisse des GEW zeigten, dass die Teilnehmenden dazu in der Lage waren, Schlichts Emotionen zu verstehen und damit kognitive Empathie zu zeigen. Inhaltsbezogene Emotionen wurden, anders als erfahrungsbezogene Emotionen, eher in den traditionell (ohne VR) gestalteten Themenräumen besonders stark empfunden.
Im Gegensatz zu den Virtual-Reality-Räumen boten die traditionellen Räume Möglichkeiten, sich zeitlich und räumlich frei zu bewegen und so viel oder wenig Zeit wie gewünscht mit einzelnen Ausstellungselementen zu verbringen. Besucher hatten dort die Chance, Objekte und Briefe im Original anzusehen. Möglicherweise begünstigte der höhere Bewegungsgrad auch die Entwicklung von Emotionen.
85 Prozent der Studienteilnehmer nahmen mit Begleit-Personen an der Studie teil. Weniger als die Hälfte berichtete, sich während der VR-Erfahrung vom Ausstellungsraum, der Gruppe oder anderen Besuchern isoliert gefühlt zu haben. Darüber hinaus gaben nur 17 Prozent der Befragten ein Gefühl von Isolation an, welches einen negativen Einfluss auf ihr Ausstellungserlebnis zu haben schien. Die Mehrheit berichtete, dass es keinen Einfluss auf das Besuchererlebnis hatte (38 Prozent) oder dass es dieses sogar verbessert habe (36 Prozent).
Basierend auf diesen Ergebnissen müssten Museen daher keine wesentlich negativen Auswirkungen auf das Besuchererlebnis erwarten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die untersuchten VR-Anwendungen jeweils nur etwa drei Minuten dauerten und Betreuungspersonal konsequent anwesend war.
Schlussfolgerungen
Nach Vorbehalten gegenüber VR befragt schienen die Teilnehmer, neben Chancen einer stärkeren Fokussierung auch die Gefahr einer eher passiven Konsumhaltung ohne Lerneffekt zu sehen.
Die Studie lieferte die grundlegende Erkenntnis, dass die Interpretation des Gezeigten mehr vom Kontext und der Nähe zum Ausstellungsnarrativ abhängen, als von einer spezifischen medialen Aufbereitung.
Hinsichtlich der Wirkung von VR auf die Emotionen der Besucher waren auch erfahrungsbezogene und inhaltsbezogene Emotionen zu unterscheiden. Die Studie hat gezeigt, dass VR stärkere erfahrungsbezogene Emotionen hervorrufen kann (etwa „Zufriedenheit“), während traditionelle Darstellungsmethoden intensivere inhaltsbezogene Emotionen wecken.
So sagten 53 Prozent der VR-Teilnehmer, dass die Anwendung „etwas in ihnen ausgelöst“ hatte. Bei den Teilnehmenden, die jene Objekte physisch im traditionellen Raum gesehen hatten, waren es hingegen 67 Prozent. Diese Differenz von 14 Prozent legt nach Meinung der Initiatoren nahe, dass Museumsobjekte nicht-reproduzierbare Charakteristika haben, die sich über VR daher nicht transportieren lassen.
Mit Blick auf den Mehrwert der VR-Erfahrung erachteten die Initiatoren damit verbundene personalintensive Abläufe (z.B. Erläuterung der VR-Headsets, Sicherstellung des technisch korrekten Einsatzes der Geräte, Desinfektion nach jedem Besucher) im Wesentlichen als nicht nachteilhaft.
Grundsätzlich begrüßten Besucher die VR-Technologie bzw. das 360-Grad-Video als erweiterte Form einer Besuchererfahrung. So wollten nur 5 Prozent „besser keine Technik im Museum“.
Als Resümee ergab sich, dass VR hier im musealen Kontext zwar Bestehendes nicht ersetzen, jedoch eine zusätzliche Informationsebene vermitteln, neue spannende Zugänge erschaffen und dabei traditionelle Ausstellungsweisen zusätzlich bereichern kann. Mit Blick auf Zielsetzungen gilt daher, Stärken und Schwächen traditioneller & virtueller Ausstellungsweisen gut gegeneinander abzuwägen.
VR-Headsets bieten ein immersives Erleben von VR-Apps und 360-Grad-Inhalten und völlig neue Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen! VR macht Orte, die uns in der Realität verschlossen bleiben und gibt uns die Möglichkeit, längst vergangene Ereignisse zu erleben. Als aktiver Nutzer werden wir Teil der Geschichte und sind nicht länger bloßer Rezipient, sondern handeln aktiv.
Wir von der Aspekteins GmbH sind eine VR-Content-Agentur mit langjähriger Erfahrung im Bereich des immersiven Storytellings und entwickeln überzeugende, authentische Inhalte bei maximaler Immersion. Gerne unterstützen wir Sie mit unserer Expertise bei Konzeption, Produktion und Postproduktion, bis hin zum Marketing:
HIER KLICKEN FÜR IHR 360-GRAD-/ VR-PROJEKT
Bildrechte Titelbild: © 3dsculptor – Adobe Stock