Reise ins Zentrum der Zelle – Virtual-Reality & Spatial Content als Visualisierungstool in der medizinischen Forschung

14. September 2018 Katrin Pape

Reise ins Zentrum der Zelle – Virtual-Reality & Spatial Content als Visualisierungstool in der medizinischen Forschung

Immersives Visualisieren von Proteinstrukturen

Die Interaktion von Molekülen im Nanometerbereich ist komplex und vor allem: mit bloßem Auge nicht sichtbar. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Wissenschaft und Forschung mit Möglichkeiten optimierter Visualisierung in Bezug auf molekulare Prozesse gewappnet sind. So ist beispielsweise das Verständnis um die Proteinfaltung in der Pharmakologie von großer Relevanz. Denn Bakterien, Viren und Toxine beeinflussen die Strukturierung des Proteinmoleküls nachhaltig; Veränderungen in der dreidimensionalen Ausgestaltung des Proteins führen zu fehlerhaften Vorgängen im Organismus und können die zelluläre Interaktion erheblich stören und letztlich krank machen. Diese pathologische Auswirkung wird aber auch in der Arzneimittelentwicklung als Chance wahrgenommen, Medikamente geschickt in den Körper zu schleusen. Bei der genauen Bestimmung dieses Vorgangs, dem Andocken von Wirkstoffmolekülen, kann Forschern VR als unschätzbares Agens bei ihrer Arbeit entgegenkommen.

Wie wesentlich der immersive Aspekt von Virtual Reality bei der Bestimmung von derartigen molekularen Prozessen ist, wissen die Informatiker um Amitabh Varshney von der University Maryland genau. Sie entwickeln in den Forschungsstätten des Virtual- and Augmented Laboratory, Augmentarium, aus vorhandenen Datensätzen Visualisierungstechniken zur aufschlussreichen Anwendung in VR/AR. Dabei werden insbesondere Cluster von CPU´s und Graphics Processing Units untersucht. Das Institut dient auch anderen Forschungsbereichen als Analyse- und Wissensermittlungszentrum, um entsprechende Datenströme und ihre Beziehungen für eine Vielzahl von Anwendungsdomänen sinnvoll zu nutzen. Das Generieren von räumlicher Beziehung und Nähe zwischen Mensch und Molekül, ist hier ein wesentlicher Faktor zum besseren Verständnis um atomare Vorgänge. Komplexe molekulare Systeme sollen nicht nur in Echtzeit visualisiert und manipuliert, sondern auch „gefühlt“ werden.

„Humans are very good at spatial reasoning and pattern recognition. Computers are very good at number crunching. VR enables us to compute and visualize in a seamless way. Up until now, you could compute and visualize, but you were watching it as a detached observer.“ 

Amitabh Varshney, Prof. Computer Science, University of  Maryland

Eine AR-basierte Anwendung zur Beobachtung eines Escherichia coli-Bakteriums beim Öffnen und Schließen eines Ionenkanals, wurde bereits verwirklicht. Derzeit wird mit Hochdruck an einer VR-Methode zur Visualisierung der Protein-Ligand-Interaktion gearbeitet, dessen genaue Kenntnis für die erfolgreiche Entwicklung von Arzneimitteln wesentlich ist.

Aus micro mach´makro…und eine ultimative UX

UnityMol + Vive (Move and Scale)

Anwendung von UnityMol an der Uni Utrecht/eiwit puzzelen…Institut für Strukturelle Bioinformatik. Bildquelle: bioexcel.eu

Moleküle (be-)greifbarer zu machen, war auch zielführendes Anliegen der Entwickler um UnityMol. Entwickelt auf Basis von Unity 3D am Pariser Institut de Biologie Physico-Chimique, entgrenzt die Visualisierungs-Engine bisherige Beschränkungen in der dreidimensionalen Benutzerinteraktion bei Mausklick und Standard-Monitoring, hin zu Bewegungsaktivitäten wie dem Ergreifen oder Skalieren von Objekten. Dabei kommen Hyperballs zur Anwendung, die molekulare Strukturen durch GPU-basierte Shader wie GLSL und Cg generieren. Zu sehen ist dies in einer dynamischeren Aufarbeitung nichtkovalenter Bindungen, also jenen chemischen Interaktionen zwischen Atomen, bei denen sich keine Elektronenpaare spalten und die maßgeblich für z.B. Tertiärstrukturen von Makromolekülen sind. Weiters dient Mat-Cap der realistischen Erzeugung von Reflexionen/Sphärenhaftigkeit in der Darstellung. Um sich einmal die Größenordnung bewusst zu machen: Makromolekulare Strukturen enthalten auch mal 500.000 Partikel. UnityMol kann die Open-Source-PlattformCytoscape, die u.a. zur Visualisierung von molekularen Interaktionsnetzwerken und deren Integration mit Annotationen und anderen Zustandsdaten dient, ebenso lesen, wie relevante ProteindatenbankenSweetUnityMol macht nun sogar komplexe Kohlenhydrate und Polysaccharide sichtbar und dient dem virtuellen Fokus rund ums Zuckermolekül – vereinfacht ausgedrückt, natürlich. So ist es mit dem VR-Video nicht allein möglich, beispielsweise Monosaccharide zu identifizieren/klassifizieren, sondern komplexe Wechselwirkungen von Makromolekülen nebst Mega-Oligosacchariden, bakteriellen Polysacchariden oder mehrsträngigen Polysaccharidgebilden darzustellen und: sich per Vive-Controller zugänglich zu machen. Alles klaro? Nun, vielleicht hilft virtuelles „Molekulieren“ der User Experience dann doch weiter und dem Denken auf die Sprünge…

Bildquelle: glycopedia.eu

Konfokales Mikroskopieren + VR= ConfocalVR

ConfocalVR for viewing of microscopy images

Virtual-Reality-Videos dienen auch der Untersuchung von Strukturen beim konfokalen Mikroskopieren: Proteine und Moleküle lassen sich im Hinblick auf fluoreszierende Markierungen (Fluorophore) durch ein Konfokalmikroskop auf verschiedenen Ebenen untersuchen. Dabei entsteht allerdings auch zu keinem Zeitpunkt ein zusammenhängendes Bild, wie etwa beim konventionellen Lichtmikroskop. Erst anhand der gemessenen Lichtintensitäten, wird Stück für Stück über das Präparat gerastert. Dabei entstehen, durch die im Strahlengang angebrachte Lochblende, Ausschnitte mit sehr hohem Kontrast. Bislang ließen sich 3D-Darstellungen nur ungenügend auf einem Monitor (üblicherweise in 2D) abbilden. Doch mit Unterstützung von speziellen VR-Systemen, kann der User auch in die Welt der Molekularbiologie abtauchen – etwa mit dem am Benaroya Research Institute entwickelten ConfocalVR. Anzeigeparameter lassen sich durch grafische Interfaces genauso in Echtzeit anpassen, wie etwa auch kollaboratives Explorieren und gestisches Diskutieren (in Avatar-Ansicht) mit weiteren VR-Teilnehmern möglich ist, ohne den Raum verlassen zu müssen.

Z-stacking: Ein konfokales Bild enthält nur fokussierte Information, denn der Mittelpunkt in der Blende und der Beleuchtungspunkt auf dem Präparat sind konfokal zueinander. Bildquelle: sciencedirect.com

Nach ImageJ-Preprocessing, werden die konfokalen Bildstapel anschließend ins NIfTI-Format konvertiert und als vollständig gerenderte 3D-Bilddatenversion im VR HMD wahrnehmbar. Anfangs ist jeder Kanal des Stapels (z. B. die Fluoreszenzmarkierung) ein Graustufenbild mit 8 oder 16 Bit. Um die Visualisierung des Bildes zu verbessern, können jedoch Helligkeit und Kontrast vor dem virtuellen Ladevorgang adäquat angepasst werden. Ebenso lassen sich externe Lichtintensität , RGB-Farbkanal und, durch zusätzliche Touch-Panels, Datenspeicherungen steuern, die bei erneuter Ingebrauchnahme sogleich geladen werden und der konsistenten VR-Forschung dienlich sind. ConfocalVR lädt Datenmengen bis zu 1000 × 1000 × 100  in wenigen Sekunden. Das VR-System muss dabei in der Lage sein, Bildansichten mit einer Rate von mindestens 90fps zu aktualisieren, damit flüssiges Sehen gewährleistet ist. Der Benutzer nimmt dann nach anschließender Voxelisierung (Volumenvisualisierung des 3D-Objektes im Raum) wahr, dass das Zellbild quasi-reale physische Abmessungen hat und aussieht, als ob sich vor ihm ein Kubikmeter mit Volumen fülle. Über eine Avatar-Ansicht kann nun global mit anderen Forschern (nonverbal) kommuniziert und, für ein besseres Verständnis der geladenen Architekturen, an den Objekten herummanipuliert werden. Mit dem VR-Programm kompatibel sind auch alle anderen Mikroskoparten, die Z-Stapelbilddaten erzeugen. Praktischerweise führt der wissenschaftliche Workflow im Labor mit VR-Anwendungen wie ConfocalVR, nachweislich zu erheblichen Verbesserungen in der Bildinterpretation.

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Bildrechte: © Siarhei – Fotolia.com

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