Virtuelle Strategien für globale Nachhaltigkeitspolitik
HTC Vive und das Weltwirtschaftsforum (WEF) kooperieren, um die Initiative „VR for Impact“ zu fördern. Damit sponsort HTC, zusammen mit Partnern, rund 10 Millionen US-Dollar für die gezielte Anwendung von VR-/AR-Technologien zur immersiven Einflussnahme in Sachen Nachhaltigkeit. Anvisiert sind v.a. die Sustainable Development Goals (SDG´s) der Vereinten Nationen.
Darunter subsumieren sich 17 universelle Ziele, die der Sicherung nachhaltiger Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Basis dienen und alle UN-Mitgliedsstaaten betreffen: Industriestaaten, Schwellen- und Entwicklungsländer. Ihnen voran gestellt sind die sog. 5 Kernbotschaften (People, Planet, Prosperity, Peace, Partnership-„5 P´s“) als handlungsleitende Prinzipien. Zu Erhebung entsprechender Indikatoren wurde u.a. das Statistische Bundesamt hinzugezogen. Die SDG´s traten im Januar 2016 in Kraft und haben eine Gesamtlaufzeit von 15 Jahren („Agenda 2030“). Als größte Herausforderung der Gegenwart stehen an erster Stelle die Armuts- und Hungerbekämpfung.
Finanziell unterstützt werden also Unternehmen, deren VR-Content und -Technologien UN-Nachhaltigkeitsziele supporten. In einer Virtual Reality-Experience sollen User, durch eine Art immersive Konfrontation, für global-ökologische und soziale Problematiken sensibilisiert werden. VR for Impact will Menschen berühren und die Empathie anregen: der Anwender soll sich in einem neuen, unbekannten Kontext erfahren und dadurch seine Wahrnehmung erweitern – bestenfalls zu lösungsorientiertem Handeln motiviert werden.
„Unlike any other medium, Virtual Reality is able to immerse the global audience in literally any experience, and can help us learn, empathize and transform the world. VR/AR for Impact is a unique way of driving critical awareness toward problems and solutions facing mankind.“ Cher Wang, CEO and Chairwoman, HTC
Immersion to Empathy
HTC ist Vorreiter in Sachen Immersion und bietet auf Consumer-Ebene mit Vive Pro das umfangreichste und erlebnisintensivste VR-System an. Das Lighthouse-Tracking von Kooperationspartner Valve ermöglicht Usern freie Bewegung im Umraum: room-scale als wirkungsvolles Tool zur immersiven Vermittlung von VR-Content. HTC baut auf dieses Potential, um Publikum in ein kritisches Bewusstsein zu führen und auf Missstände aufmerksam zu machen. Zu den ersten unterstützten Projekten überhaupt zählen The Extraordinary Honey Bee und Tree.
In Kooperation mit dem Speiseeishersteller Häagen-Dazs will HTC in The Extraordinary Honey Bee auf das weltweite Bienensterben aufmerksam machen, dessen Ursache vermutlich in einem recht komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren begründet liegt. Allen voran vernichten v.a. systemische Insektizide auf Basis von Neonicotinoiden nicht allein Schädlinge, sondern auch Pollen und Nektar, da sie in alle Pflanzenteile hinein Einfluss nehmen und toxische Wirkung entfalten. Schon vier Milliardstel Gramm einiger Wirkstoffe reichen aus, um eine Biene zu töten. Schwächere Dosierungen beeinträchtigen Immunsystem, Navigation, das Lernen, sowie die Fortpflanzung der summenden Gliedertierchen.
In Deutschland ist der Honigertrag in den Städten inzwischen fast höher als in Umland und Peripherie. Durch Mais- und konventionellen Getreidenanbau können Blühpflanzen in ländlichen Gegenden inzwischen kaum mehr Verbreitung finden. So fehlt es auch den rund 560 Wildbienenarten auf unseren Äckern gehörig an Diversifizierung: zu wenig blühende Pflanzen und Kräuter, sowie Klee und Sommerraps als Zwischenkultur und zur Gründüngung. Wildbienen sind, im Vergleich zu Honigbienen, auf bestimmte Pflanzen spezialisiert und aufgrund zunehmender Monokultur besonders gefährdet. Aber auch viele Imker müssen ihre Bienen ab dem Spätsommer zufüttern, da ihnen das Nahrungsangebot aus der Natur schlichtweg fehlt. Ebenso tragen Varroamilbe (ein asiatischer Parasit, der seine Eier in die Brut der Bienen legt und erwachsenen Arbeiterbienen Blut absaugt) als auch Klimawandel zum Bienensterben bei. Blüht der Löwenzahn verfrüht, bringt dies den Rythmus der Bienenvölker genauso durcheinander, wie ein zu langer Winter. Die Biene benötigt durch diesen Umstand wesentlich mehr Energie für ihr Dasein und ist zusätzlich stark gestresst. Mit Blick auf die Verwendung bienenabhängiger Zutaten wie Beeren, Honig oder Nüssen, wies Häagen-Dazs schon 2008 mit seiner „Help the Honey Bees“-Kampagne auf das massive Bienensterben in den USA hin. Nun setzt das Unternehmen zusammen mit HTC auf die Kampagne VR for Impact, um die Zuschauer weiterhin und noch globaler für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren. Auf die Größe einer Honigbiene geschrumpft, erfährt der Viewer in The Extraordinary Honey Bee, wie es um deren Mikrokosmos und Perspektive steht. Bleibt stark zu hoffen, dass die dadurch generierten Bewusstseinserträge auch hier bei uns ihren Niederschlag finden.
If i were a tree…
Auch der Beitrag Tree fordert den Viewer heraus. Er soll sich in die Baumriesen des Regenwaldes hineinversetzen, speziell den Kapokbaum. Als Gewächs der Malvenfamilie und einer Höhe von bis zu 75 Metern, werden dessen Fasern u.a. als Dämmmaterial und zur Befüllung von Matrazen oder Schwimmwesten genutzt. Zudem besitzt der Baum antibakterielle Eigenschaften und wird regional zur Wundversorgung eingesetzt. Der Film generiert beim Zuschauer immersiv die Erfahrung eines jungen Baumes bis hin zu seinem Tod – bedingt durch Abholzung. Milica Zec und Winslow Porter, vom NY-based creativestudio New Reality Co., sprechen indes auch programmatisch vom „common sense“, den es zu fördern gilt: Mit Hilfe innovativer Technologien, so das erklärte Ziel, soll der Mensch aus seiner permanenten Reizüberflutung und Überstimulierung herausgelöst und wieder in den Kontakt mit sich und der Welt geführt werden.
Zur Gewinnung von Agrartreibstoffen, Soja oder auch exklusiven Holzsorten, werden jährlich mehr als 100.000 Quadratkilometer Regenwald gerodet. 2016 hat die Auswertung von Satellitendaten ergeben, dass innerhalb von nur 12 Monaten allein im brasilianischen Teil Amazoniens rund 8000 Quadratkilometer Fläche abgeholzt wurden. Das entspricht einem dramatischen Anstieg von 29 Prozent im Vergleich zu vorherigen Erhebungen.
„Tree is quite ambitious from a technical standpoint. (…) making users feel like they´re consistently and steadily growing as a Kapok tree, while also surrounded by dynamic lighting and shadows generated in real time. That required us to work around some serious computing challenges, namely mapping and deforming morph targets in Unreal Engine, for the tree´s seemless growth.
(…) After experiencing „Tree“, people told that it made climate change feel more personal to them, on top of a number of individuals crying or shouting in the headset. At the beginning of our process, all we wanted was to aptly communicate the pressing and timely message of climate change in a respectful and helpful way. Milica Zec, director of „Tree“
Embodied Experience-Körpergrenzen erweitern
Basierend auf Elementen der EMS (electrical muscle stimulation), stellte das multisensorische/interaktive VR-System TreeSense von MIT Media Lab jenes Ausgangsmaterial dar, welches letztlich auch in seiner Endfassung Tree eine beeindruckende embodied experience zum Ausdruck bringt. Dazu wurden an den Unterarmen Elektroden appliziert, die Haut und Muskulatur stimulieren und eine Körperillusion (das Gesehene passt zum Gefühlten) beim User erzeugen sollten. Visuell erlebbare Situationen, wie etwa auf Armen landende Vögel oder auf der Haut krabbelnde Würmer, wurden durch die EM-Stimulation konkret physisch erfahrbar: aus einer first-person-perspective heraus, empfindet sich der User nun auch körperlich mit dem Wesen eines Baumes, seinen Armen als Ästen, identisch.
Hierbei wurden Bewegungen von Kopf, Fingern und Armen durch Infrarot-basiertes Leap Motion getrackt und haptische Stimuli durch einen Mikrocontroller induziert, welcher über einen Serial Port mit Unity3D kommunizierte. Durch die systematische Veränderung der Sinnesreize wie Sehen, Berühren, motorischer Kontrolle oder Propriorezeption (Wahrnehmung von der eigenen Körperstellung und -lage im Raum), kann das Gehirn einem Körper beiwohnen, der sich maßgeblich von unserer eigenen Physis unterscheidet. Diese Körperillusion führt wiederum zu einer Verstärkung der emotionalen und persönlichen Bindung mit demjenigen Wesen, welches wir virtuell verkörpern. Dazu wurden EMS-Signale durch Variation bzw. Kombinatorik von z.B. Pulsamplitude- und breite, Stromfrequenz und Elektrodenpositionierung manipuliert und anschließend verankert. Ein Potentiometer evaluierte individuell die Intensität der Bewegungen. Im Nachgang wurden sämtliche Empfindungen der VR-Experience durch jene vordefinierten Bewegungen und Interaktionen getriggert. D.h. virtuell animierte Details im Head-Mounted Display wurden mit der Tiefe, dem Timing und der Intensität der physischen Erfahrung verglichen, um beim User eine optimale Synchronisierung realer und virtueller Eindrücke zu gewährleisten.
From Illusion to Presence
Die taktile Erfahrung bei TreeSense wurde im Zusammenspiel der Systemkomponenten Max/MSP und Arduino/Genuino geschickt umgesetzt. Beide vorgenannten Komponenten kommunizieren mit der Unreal Engine via OSC-Protokoll. Die Entwickler von Tree erhielten für ihre Experimentierfreude, neben dem HTC Vive „VR for Impact“- Grant, auch eine finanzielle Förderung durch Epic Games, dem Entwickler der Unreal Engine. Der Film wurde 2017 sowohl auf dem TriBeCa Film Festival als auch im Rahmen der New Frontier-Section des Sundance Film Festivals in einer Art Tropen-Setting präsentiert: Ventilatoren und olfaktorische Stimuli produzierten künstlichen Wind, warme Luft und Gerüche von Waldboden, Feuer und Rauch. Schließlich sorgte der Einsatz von SubPac durch verschiedene, in Oversleeves am Arm des Viewers integrierte sensorical-points, für körperlich fühlbare Vibrationen im Zusammenhang mit Erschütterungen, wie etwa Eingriffen mit der Kettensäge. Auf diese Art physisch-resonant mit dem eigenen Tod konfrontiert zu werden, dürfte schließlich das Gefühl der illusiven Selbstverleiblichung abrunden und ein, wenn auch trauriges, Höchstmaß an Presence-Wirkung erzielen. Bleibt zu hoffen, dass sich unser Bewusstsein an dieser spannenden Schnittstelle – zwischen HCI und embodied-Experience – für die realen Umstände dieser Welt nachhaltig schärfen lässt.
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