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Visions of VR-Storytelling: Wie Lynette Wallworth 360-Grad-Filme als Mittler zwischen Kulturen einsetzt

Geschichten lassen sich eindrücklich mit 360-Grad-Erfahrungen erzählen und erlebbar machen. Unsere eigene Technologie „Hyperresponsive VR“ erlaubt dem Betrachter vom passiven Teilnehmer zum Protagonisten der Story zu werden – also mit den Inhalten der erzählten Geschichte zu interagieren und sie sich schließlich anzueignen. Auf Basis von Trigger-Elementen, die etwa eine präferierte Blickrichtung des Users offen legen können, spielen insbesondere auch unbewusste Entscheidungen eine maßgebliche Rolle für den weiteren Verlauf der Story, die non-linear angelegt ist. Der Teilnehmer hat somit die außergewöhnliche Möglichkeit, die Entwicklung der Geschichte auf sehr persönliche Art und Weise zu beeinflussen.

Lynette Wallworth ist eine Geschichtenerzählerin, die sich schon länger mit interaktiven Elementen in ihren Installationen beschäftigt. Seit einiger Zeit arbeitet auch sie mit VR und sensibilisiert Zuschauer dabei für eindringliche Themen. Die Protagonisten der Filme sind zwar festgelegt, doch wie sehr 360-Grad-Filme dennoch als Alternative zum konventionellen Dokumentarfilm/Storytelling taugen, zeigen einige sehr besondere Arbeiten der Künstlerin.

Horizont weiten – Diskurs fördern

Bildquelle: alibi.com/coral morphologic

Die Welten von Kunst und Wissenschaft lassen sich wunderbar vereinen. Verknüpft mit einer überzeugenden Botschaft entstehen so einmalige Erfahrungen. Dahingehend ist Wallworth inzwischen Profi, denn sie trägt das Herz am rechten Fleck.

Schon 2012 erregte Wallworth Aufsehen mit ihrer Fulldome-Präsentation Coral-Rekindling Venus, die in verschiedenen Planetarien rund um den Globus gezeigt wurde und eine spektakuläre Reise zu den fluoreszierenden Korallenriffen Australiens, Papua-Neuguineas und Indonesiens aufzeigte. Premiere hatte das Werk im Londoner Royal Observatory. Die Resonanz war so groß, dass sich die Thematik Meer/Naturschutz programmatisch von London aus über das American Museum of Natural History in alle Ecken der Welt verbreitete und, bis hin zur Australischen Hohen Kommision in Neu-Delhi, reges Interesse nach sich zog.

Im Fokus stand das Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens, zu dem Wallworth eine besondere Beziehung hat und als Außenstehende mehrere Forschungsprojekte begleitete. Für die immersive VR-Installation „Coral: Rekindling Venus“ arbeitete sie u.a. mit dem preisgekrönten Kameramann David Hannan, der ein Kenner des Fachs ist und auch eine der größten Meeresfilmbibliotheken aufgebaut hat.

Ausschnitt aus Coral:Rekindling Venus Bildquelle: rebloggy.com

Riffkolonien werden von winzigen Wesen gebildet – Korallenpolypen, die wiederum mit Mikroalgen in einer symbiotischen Beziehung leben und von diesen auch die meisten Nährstoffe erhalten, derweil Algen selbst durch Photosynthese ihre eigene Nahrung produzieren. Die Korallenpolypen werden durch ihre äußeren Skelette und Riffstrukturen miteinander verbunden.

Eines der größten Probleme ist das Ausbleichen von Korallen. Aus Gründen, die noch nicht voll umfassend erforscht sind, sowie die zu starke Einwirkung von Sonnenlicht bzw. Erwärmung von Meerwasser, stoßen die Korallenpolypen manchmal die in ihnen lebenden Algen aus: die Koralle verliert ihre Hauptnahrungsquelle, stirbt im Wesentlichen an Nährstoffmangel und wird weiß. Um ihre Arbeit zu entwickeln, hat Wallworth auch mit Dr. Salih, einer Wissenschaftlerin der University of Western Sydney, zusammengearbeitet. Salih erforscht fluoreszierende Proteine, mit deren Hilfe Radikale und Stress in den Zellen abgebaut und Algen-Photosynthese gewährleistet werden kann. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Korallenbleiche erfolgreich zu verhindern.

Zusätzlich konnten sich Besucher über eine Augmented-Reality-App diverse Daten-Feeds der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) herunterladen und mehr über das Ökosystem der Korallenriffe erfahren.

„There is passport offered to me as an artist dealing in contemporary technologies that lets me into laboratories and research institutions where I would otherwise not have access. Here I can meet scientists whose fields of work are so very different from my own but whose concerns may be very similar. It may be that science right now, needs from artists the very thing that makes our work art, the facility in urgent times to produce a powerful, emotive based response that matches the moment.“

Lynette Wallworth

Tender – Wo ist Port Kembla?

Port Kembla ist eine kleine Gemeinde im australischen Bundesstaat New South Wales und unmittelbarer Fokus von Wallworth´ Film Tender, der 2014 u.a. auf dem BFI London Film Festival gezeigt wurde.

Die Gemeinschaft von Port Kembla sah sich bei Sterbefällen zu sehr unter der Kontrolle multinationaler Konzerne. Die Zeit zwischen Tod und Bestattung in Australien kann nur zwei bis drei Tage betragen, und der Film zeigt, dass dies eine Zeit ist, in der wohlüberlegte praktische und finanzielle Entscheidungen getroffen werden müssen, obgleich die emotionale Situation der Betroffenen diese eigentlich schwer zuzulassen scheinen. Die Gemeindeleiter in Port Kembla arbeiten also daran, Workshops zur Entmystifizierung von rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Tod und Sterben zu führen. Die letzten privaten Momente zwischen Leben und Tod würdevoll in die Gemeinschaft zurück zu holen, sich mit Fragen nach dem kapitalistischen Besitz des menschlichen Körpers, der Technologisierung des Todes auseinanderzusetzen, darum geht es in der Dokumentation vor allen Dingen. Aber auch um viel mehr: Lynette Wallworth zeigt die Entschlossenheit einer Community, sich für ein gemeinnütziges Bestattungsunternehmen zu engagieren – ein Schritt, der inzwischen auch anderen Kommunen als Vorbild dient und entsprechende Initiativen auf den Plan rief. Beim Adelaide Film Festival gab es für Tender Standing-Ovations.

Aber Wallworth hat sich inzwischen auch dem VR-Storytelling verschrieben, um die Kraft der Immersion zu nutzen. Auf eindringliche Art und Weise bewegende Geschichten zu erzählen, das war immer schon Wallworth´ Metier. Mit Virtual-Reality geht es nun einen Schritt weiter.

So wurde sie als Gründungskünstlerin, im Rahmen des Sundance Institute New Frontier, für das Jaunt VR Residency Program ausgewählt und schickt uns mit „Collisions“ auf eine Reise zu australischen Ureinwohnern in die Pilaba-Wüste.

360-Grad-Produktion im Outback

Der Schein trügt… Das Zentrum der „Sonne“ zeigt den Ort, an dem einst eine Atombombe in Maralinga, Australien, entsendet wurde Bildquelle: travelbook.de

Nyarri Morgan vom Martu-Stamm erlebte, wie westliche Wissenschaft und Technologie das Leben der Ureinwohner dramatisch beeinflusst hat.
Zwischen 1953 und 1963 zündete das britische Militär rund zwölf Atombomben und führte mehrere radioaktive Tests durch. Einen dieser Tests erlebte Nyarri in den fünfziger Jahren aus nächster Nähe. Die sterbenden Kängurus waren, so erkannten er und seine Stammesgenossen, nicht etwa Resultat der „Güte der Schöpfung“, dank derer die aufwendige Jagd nach den Tieren obsolet schien. Denn das Kängurufleisch war ungenießbar, radioaktiv verseucht. Collisions erzählt von den verheerenden Folgen dieser Erfahrung.

Collisions VR: 360-Grad-Aufnahmen im Outback. Bildquelle: theguardian.com

Auch mit Awavena wagt sich Wallworth in entlegene Gegenden vor und reiste zur Yawanawá-Gemeinschaft ins brasilianische Amazonasgebiet nach Acre – auf deren Einladung hin.

So geht es in dem 17-minütigen Film um die tiefverwurzelten Traditionen der Ureinwohner und um die Bedeutung der ersten weiblichen Schamanin, Hushahu, mit der sich das Yawanawá-Volk konfrontiert sieht.

Um die Stammeskultur zu stärken, legte die Community in den vergangenen Jahren vermehrt Wert auf wirtschaftliche und soziale Verbindungen zur Außenwelt. Deshalb wundert es auch nicht, dass Wallworth von Tashka, dem Chef der Yawanawá, eingeladen wurde, um durch den Einsatz von AR/VR-Technologien und den damit einhergehenden narrativen Möglichkeiten die Relevanz schamanistischer Zeremonien zu vermitteln. Tashka betrachtete das Medium VR als kompatibel mit dem Visioning der Gruppe und als willkommene Maßnahme, sich vor dem Hintergrund von Globalisierung und Naturzerstörung noch einmal eindringlicher im Hinblick auf das Ökosystem Tropischer Regenwald mitzuteilen.


Bei der Entstehung des Films wirkte erneut Dr. Salih mit, die aus ihrem Arbeitsfeld heraus die Bereiche Fluoreszenz und konfokale Mikroskopie nutzte, um 3D-Bilder von Waldbewohnern und Exemplaren aus dem Amazonasgebiet zu erstellen; zur Kartierung des Gebietes diente ein tragbarer Lidar-Scanner.

Dr. Salih spekulierte richtig, dass es im Regenwald bisher unbekannte fluoreszierende Arten geben könnte, deren Entdeckung auch für den Yawanawá-Stamm von Nutzen sein könnte. Erstaunlicherweise fanden sich Insekten wie leuchtende Sterne zwischen den Blättern – sie fluoreszierten in rot und grün und verwandelten den nächtlichen Wald in eine Landschaft, wie sie auch aus dem Hollywood-Blockbuster Avatar stammen könnte. Als sie die leuchtenden Insekten in das Dorf zurückbrachte, war die Aufregung der Yawanawá enorm, die solche Farben in ihren Visionen gesehen hatten – aber niemals über diese Technologien!

Fluoreszierende Spinne im Regenwald Bildquelle: westernsydney.edu.au

Konfokale Scans dienten schließlich dazu, die winzigen Schuppen des blauen Morpho-Schmetterlings möglichst eindringlich abzubilden – das Tier ist zentral für Hushahus Visionen. Die Animationen des Schmetterlings wurden zu einer Augmented-Reality-App von Blippar generiert, die mit einem von den Yawanawá-Frauen entworfenen Perlenarmband korrespondiert. Der Zuschauer kann durch diesen Gimmick den Schmetterlingsflügel an seinen Handgelenken „sehen“. Das Armband verwendet Daten der NGO Imazon, um den Zustand des Regenwaldes im Erscheinungsbild der Schmetterlingsflügel widerzuspiegeln.

Die Western Sydney University hat mit Earth IQ eine Initiative ins Lebens gerufen, die es sich zur Aufgabe macht, durch multimediales Geschichtenerzählen und Expertenkommentare Menschen zu einem nachhaltigeren Leben zu bewegen.

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Bildrechte Titelbild: © AdobeStock – Ammit

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