Um als Außenstehender andere Menschen mit bestimmten Krankheitsbildern besser verstehen und deren Wahrnehmung zumindest in kleinen Ansätzen auch nachspüren zu können, gibt es inzwischen viele interessante VR-Apps zur Förderung von Empathie. Derartige Applikationen helfen, Vorurteile gegenüber Betroffenen abzubauen.
Aber Virtual Reality bietet gerade auch im therapeutischen Bereich erhebliche Chancen – etwa im Hinblick auf die Stimulation neuronaler Strukturen im Gehirn von Schlaganfallpatienten. Deshalb werden weltweit an Hochschulen, Kliniken oder Altenpflegeheimen verschiedene VR-Lösungen zur Verbesserung des Allgemeinzustandes erkrankter Patienten getestet.
In unserer Bevölkerung sind Einschränkungen der Sehkraft ein immer größer werdendes Problem. So gehen inzwischen Studien allein für Großbritannien von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen aus, die in den nächsten zehn Jahren ihr Augenlicht verlieren werden.
Grauer Star, dessen Krankheitsverlauf mit einer Trübung der Augenlinse einhergeht, Netzhautablösungen und Schädigungen des Sehnervs (Glaukom) sind nur einige wenige Augenerkrankungen, die für Betroffene eine zunehmende Einschränkung im Alltag und größere Abhängigkeit bedeuten.
Weltweit gibt es über 240 Millionen Menschen mit Sehbehinderungen: Sehbehindert ist ein Mensch, wenn er trotz Sehhilfe auf dem besser funktionierenden Auge 30 Prozent schlechter sieht, als der durchschnittliche Bürger. Allein in Deutschland leiden knapp 7 Millionen Menschen an einer Makuladegeneration, in deren Krankheitsverlauf der wichtigste Teil der Netzhaut zerstört wird.
Einschränkungen lindern
VR ermöglicht es Anwendern, in eine simulierte 3D-Umgebung einzutauchen. Auf welche Art und Weise kann diese Technologie konkret Menschen mit Sehbehinderungen helfen?
IrisVision ist eine VR-Anwendung, die klinisch geprüft und u.a. von Wissenschaftlern der Stanford Universität entwickelt wurde.
Die Software der VR-Brille zeichnet die Umgebung des Betroffenen als Echtzeit-Livestream und nutzt einen noch funktionsfähigen Teil der Netzhaut, um die Bilder darauf zu projizieren. Gemäß seiner Seheinschränkung kann der Anwender diese Aufnahme nun zu seinem Vorteil manipulieren – z.B. Details heranzoomen oder den Farbkontrast ändern. Die VR-App registriert hierbei automatisch den unmittelbaren Fokus des Anwenders und optimiert Schärfe, Farbgebung oder Kontrast der ihn umgebenden Objekte.
Neben sogenannten Sehrestschulungen, die darauf abzielen, das noch vorhandene Sehvermögen bestmöglich zu nutzen, können VR-Apps ein zusätzliches Werkzeug sein, um Menschen mit Augenkrankheiten in ihrem Alltag zu helfen.
So haben Betroffene bei schweren Verläufen einer „Retinitis Pigmentosa“ zunehmend Einschränkungen in der peripheren Sichtweise, sehen also außerhalb des fokussierten Bereichs immer schlechter. Dieser Umstand hat massive Auswirkungen auf die Tiefenwahrnehmung und führt zu starken Beeinträchtigungen im Alltag, etwa wenn Hindernisse im Straßenverkehr nicht mehr rechtzeitig wahrgenommen werden können. Erschwerend wirken hierbei auch schlechte Lichtverhältnisse.
VR-Brillen mit für diese Krankheitsbilder spezifisch entwickelten Apps verfügen nicht nur intern über eine Helligkeits-Regulierung zur Verbesserung des Dargestellten, sondern auch extern über eine zusätzliche Lampe, die der Anwender bei Bedarf nutzen kann. Nachweislich führen diese zusätzlichen Lichtquellen schon zu weniger Greiffehlern und Kollisionen.
Da viele Seheinschränkungen zu einer verstärkten Licht-bzw. Kontrastsensibilität führen, sind die Inhalte der Echtzeit-Aufnahmen auch entsprechend in Schwarz-Weiß- bzw. Weiß-Schwarz-Kontrasten einfärbbar. Sehbehinderte Menschen haben oft eine andere Farbwahrnehmung, so spielen Kontraste eine große Rolle. Da Rot oft eher als dunkles Grau wahrgenommen wird, ist es im Alltag beispielsweise wichtig, diesen Farbton zur besseren Unterscheidung nicht mit anderen dunklen Farbtönen zu kombinieren.
Kleine Tools, starke Wirkung
Ein spezieller RP-Mode hilft bei variabler Vergrößerung von Personen und Gegenständen.
Der Television-Mode gibt ein Zoom-Sichtfenster frei, das sich im oberen Bildbereich über die Gesamtaufnahme legt. So bekommen Betroffene die Möglichkeit, sich zum einen anhand der Nahaufnahme z.B. auf ein Gesicht vor ihnen zu konzentrieren, andererseits zusätzlich die Umgebung im Blick zu behalten.
Weiter dient ein Reading-Mode der Bewältigung kleiner Texte, die Screenshot-Funktion verbessert dagegen die Handhabung von größeren Textabschnitten. Für letzteren Modus gibt es eine Galerie, aus der heraus die fotografierten Images mittels VR-Headset (neben Text lässt sich natürlich auch alles andere von Interesse festhalten) auch zu einem späteren Zeitpunkt näher betrachtet werden können.
Eine vereinfachte Tiefencodierung in Graustufen sorgt an dieser Stelle für verbesserte Navigationsfähigkeiten bzw. erleichterte Mobilität.
Bei Bedarf liest der Iris-Reader schließlich ausgewählte Texte vor.
Vielversprechende Aussichten…
“It is exciting that SightPlus improved visual function in a clinical setting. Alongside conventional low vision aids, wearable devices like SightPlus have the potential to extend the number of tasks which people with visual impairment can perform independently.“
Dr. Crossland, Moorfield Eye Hospital London
Das Moorfield Eye Institute, eine auf Augenkrankheiten spezialisierte Klinik in London, verwendete die Anwendung Give Vision/Sight Plus VR und konnte ebenfalls gute Ergebnisse erzielen.
Auch (handlichere) Smartglasses wie die von NuEyes oder eSight 3 helfen dabei, sehbehinderten Menschen mehr Orientierung zu ermöglichen.
In einer neuen Studie konnte anhand von 60 seheingeschränkten Probanden in einem Alter zwischen 18 und 93 Jahren nachgewiesen werden, dass eine entsprechende VR-Anwendung sowohl Sehschärfe als auch Leseleistung der Teilnehmer signifikant verbesserte.
VR ist natürlich kein Allheilmittel. Dennoch können unterschiedliche Tools der Technologie, wie Kontrastanpassung oder flexible Bildvergrößerung, zum Vorteil von Sehbehinderungen eingesetzt werden und betroffene Menschen in ihrer Orientierung unterstützen.
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